Mehr Zeit im Gymnasium, neue Fächer, Wegfall eines Abschlusses: Zum neuen Schuljahr ändert sich einiges. Was Eltern und Schüler im Südwesten zum Schulstart wissen müssen.
Für hunderttausende Schülerinnen und Schüler gehen die Sommerferien zu Ende – am Montag müssen sie wieder zurück ins Klassenzimmer, denn das neue Schuljahr startet. Und das bringt einige Neuerungen mit sich, weil Reformen von Grün-Schwarz nun umgesetzt werden. Die prominenteste: die Rückkehr zu G9. Was ist zum Schulstart noch wichtig? Ein Überblick über die größten Themen und Baustellen.
Lehrermangel wieder größer?
Zu wenig Lehrkräfte begleiten den Schuljahresbeginn schon seit einigen Jahren. Zuletzt verbesserte sich die Lage aber mit jedem Jahr etwas. Zu Beginn des vergangenen Schuljahres waren laut Kultusministerium 250 Stellen unbesetzt, im Jahr zuvor waren 565 Stellen vakant. Dass die positive Entwicklung auch in diesem Jahr anhält, ist eher unwahrscheinlich. Denn kurz vor Beginn der Sommerferien musste das Kultusministerium einräumen, dass über Jahre 1.440 Lehrerstellen wegen eines Softwarefehlers nicht besetzt waren. Wie viele davon bereits zum neuen Schuljahr besetzt werden konnten, will Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) heute in einer Pressekonferenz erklären. Die Lehrergewerkschaft GEW geht davon aus, dass sich Eltern zum Start des neuen Schuljahres wieder auf Unterrichtsausfall einstellen müssen.
Rückkehr zu G9
Die größte Veränderung im neuen Schuljahr dürfte an den Gymnasien anstehen. Dort starten am Montag die Fünft- und Sechstklässler mit der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Bislang war G8 Standard an den Gymnasien im Südwesten. Das ändert sich nun Schritt für Schritt. Kultusministerin Schopper erhofft sich davon auch mehr Abiturienten. „Mein Anspruch an das neue Gymnasium ist, dass ein höherer Anteil der Schüler bis zum Abitur gebracht wird“, sagte sie der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“.
Für die Grünen-Ministerin bedeutet das auch, dass schwächere Schüler nicht mehr wie bisher in der Mittelstufe an Real- oder Gemeinschaftsschulen abgegeben werden sollen. „Die Zeit zum Fördern, damit Schüler mit Schwächen ihre Defizite überwinden, gibt es jetzt im Gymnasium“, sagte sie.
Die Eltern dürfte das neue G9 auch vor Herausforderung stellen, meint GEW-Chefin Monika Stein. Diese müssten nun die Betreuung ihrer Kinder organisieren. „In der fünften und sechsten Klasse der allgemeinbildenden Gymnasien sprechen wir nicht einmal mehr von einer Halbtagsschule“, sagte Stein. Grund dafür ist die Streckung des Unterrichtsstoffs auf neun, statt wie bislang acht Jahre. Dadurch sieht die Stundentafel für Fünftklässler nur noch 28 Wochenstunden vor.
Neues Fach „Informatik und Medienbildung“
Zum neuen Schuljahr steht auch an allen weiterführenden Schulen ein neues Fach auf dem Stundenplan. „Informatik und Medienbildung“ soll zunächst in den Klassen fünf und sechs starten und perspektivisch, je nach Schulart, bis Klasse neun, zehn oder elf aufwachsen.
In den unteren Klassenstufen soll der Schwerpunkt nach früheren Angaben des Kultusministeriums vor allem auf Medienbildung liegen. Schüler sollen dabei unterstützt werden, mit den zunehmend komplexeren Herausforderungen in der digitalen Welt zurechtzukommen, hieß es aus dem Ministerium. Themen seien etwa KI, Fake News, Echokammern, Hassrede oder Verschwörungstheorien.
In den höheren Klassen soll der Fokus mehr auf Informatik liegen. Die Schüler sollen laut Ministerium grundlegende Kompetenzen vermittelt bekommen, etwa wie man eine Programmiersprache erlernen kann oder wie Künstliche Intelligenz funktioniert. Konkrete Bildungspläne für das Fach werden derzeit noch erarbeitet. Für die ersten Jahrgänge sollen sich Lehrerinnen und Lehrer an bestehenden Bildungsplänen orientieren.
Kein Werkrealschulabschluss mehr
An den mehr als 200 Werkrealschulen im Südwesten startet erstmals ein Jahrgang, der den Abschluss, der den Schulen ihren Namen gibt, nicht mehr machen können. Im Zuge ihrer Bildungsreformen schaffte die grün-schwarze Landesregierung den Werkrealschulabschluss ab. Für die Schülerinnen und Schüler ändert sich laut Kultusministerium erst einmal nichts, es ergäben sich keine Veränderungen im Unterricht. Die Schulen nähmen weiter ihre ureigene Aufhabe wahr, die Schülerinnen und Schüler gezielt zum Hauptschulabschluss zu führen, so ein Ministeriumssprecher.
Für die Schulen bedeutet das aus Sicht der GEW Unsicherheit. Sie bekomme aus vielen Schulen die Rückmeldung, dass diese große Sorge hätten, ob sie ihre Schülerzahlen halten könnten. „Klar ist, dass die Attraktivität deutlich gesunken ist, dadurch dass nicht mehr der mittlere Bildungsabschluss an ihrer Schule angeboten werden kann“, sagte Gewerkschaftschefin Stein.
Kürzere Orientierungszeit an den Realschulen
An den Realschulen im Land wird ab diesem Schuljahr bereits nach der fünften Klasse entschieden, ob Kinder weiter auf mittlerem Niveau – also mit dem Ziel Realschulabschluss – weiterlernen, oder ob sie auf grundlegendem Niveau auf den Hauptschulabschluss vorbereitet werden. Bislang wurde diese Entscheidung nach der sechsten Klasse gefällt.
Weiterer Ausbau der Sprachförderung
Neben der Rückkehr zu G9 gehört der Ausbau der Sprachförderung zu den großen Vorhaben der Bildungsreformen von Grün-Schwarz. Schon im vergangenen Schuljahr startete die ergänzende Sprachförderung „Sprachfit“ vor der Einschulung mit rund 350 Gruppen an einigen Kitas und Grundschulen, zum neuen Schuljahr sollen dem Ministerium zufolge weitere 600 Gruppen hinzukommen. 2027/2028 will das Land mit 4.200 Gruppen ein flächendeckendes Angebot haben, dann soll die Teilnahme an der Förderung für Kinder mit Sprachdefiziten auch verbindlich werden.
Die Bilanz des ersten Schuljahres mit „Sprachfit“ fällt nach Ansicht der GEW gemischt aus. Einer Umfrage der Gewerkschaft zufolge berichten viele Lehrkräfte von einer fehlenden Unterstützung, zudem müsse die Fortbildung überwiegend außerhalb der regulären Arbeitszeit absolviert werden, so die Gewerkschaft.