Exotische Papageien, nervige Waschbären, wucherndes Grünzeug – invasive Arten machen sich in unseren Gefilden breit. Fotograf Erik Irmer dokumentiert ihren Siegeszug.
Es gibt Begriffe, die sind eigentlich ausschließlich negativ besetzt, egal, in welchem Kontext. Invasion ist so ein Begriff. Ob im Militärischen, in der Science Fiction oder der Medizin – stets wird hier gewaltsam eingedrungen in fremdes Gebiet, wird infiziert, verheert, verdrängt, zerstört, besetzt und vergiftet. Wenn es aber nach dem Fotografen Erik Irmer ginge, müssten wenigstens im Bereich der Bio- und Ökologie ein paar Ausnahmen gemacht werden bei der Betrachtung der Invasion.
Irmer arbeitet hauptberuflich in Berlin als Bildredakteur für die „taz“. In seiner Freizeit widmet er sich eigenen Fotoprojekten. Für Naturfotografie hatte er nie viel übrig. „Ich fand es langweilig, einfach nur Tiere und Pflanzen in der Landschaft abzulichten“, sagt er. Aber dann schlich sich bei seinen Touren durch die Hauptstadt immer wieder ein Detail ins Motiv, das Irmer irritierte, so als stimme in einem Bühnenbild ein einziges Dekor nicht: ein bizarrer Baum mit gefiederten Blättern, er fiel ihm auf.
Siegeszug der Eindringlinge
Irmer recherchierte, „Götterbaum“ hieß das Ding, und er war überrascht, wie lange es die Pflanze in Deutschland schon gab: 1780 waren erste Exemplare als Ziergewächse aus China nach Berlin gekommen. Irgendwann musste sie wohl jemand ins Freiland gepflanzt haben – ein unaufhaltsamer Siegeszug begann. Bis zu vier Meter wächst das Grünzeug pro Jahr als einer der am schnellsten aufschießenden Bäume Mitteleuropas. Seit 2019 steht der Götterbaum auf der „Unionsliste für invasive Arten“, die aktuell 88 Arten von Pflanzen und Tieren umfasst, deren Bestände EU-weit kontrolliert und dezimiert werden sollen. Mindestens 46 dieser Spezies kommen in Deutschland wild lebend vor.
Irmer war fasziniert, er hatte sein Thema gefunden und reiste bald durch die Republik, auch in andere europäische Länder, immer auf der Suche nach den Geächteten. Dabei traf er Wissenschaftler, die herausfinden wollen, wie groß der Schaden durch die Invasoren wirklich ist und wie sich ihre Bestände klein halten lassen. Nicht jede immigrierte Art, die sich in Europa etabliert hat, sei auch ein Übeltäter, sagt Irmer nach diesen Treffen: „Es gibt kein Gut oder Böse, kein Schwarz oder Weiß.“
Die Debatte um den Waschbären habe ihm das besonders klargemacht. In Görlitz traf Irmer Jäger, die Waschbären mit Lebendfallen fangen, um sie anschließend zu erschießen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass sich die Raubtiere allzu sehr an den Amphibien der umliegenden Teiche bedienen, die dem Artenschutz dienen. In Berlin aber gibt es auch Lobbyisten für Waschbären, etwa die Tierärztin und -schützerin Mathilde Laininger, die mit ihrem Verein „Hauptsache Waschbär“ Jungtiere aus Dächern und Gartenlauben entfernt – und dann gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern aufzieht. Laininger möchte erreichen, dass der Waschbär von der EU-Liste der invasiven Tiere gestrichen wird. Schließlich galt er bis vor wenigen Jahren noch als heimische Art.
Invasive Arten nicht einfach entsorgen, sondern essen?
Gerne hätte Irmer Waschbärenwurst gekostet, aber der Brandenburger Metzger, der sie aus erlegten Tieren bereitet, versetzte ihn zweimal. Unerwünschte Tierarten nicht einfach zu entsorgen, sondern wenigstens zu nutzen, zu verspeisen – das schien dem Fotografen sinnvoll: In Berlin kaufte er einen Beutel mit Roten Amerikanischen Sumpfkrebsen, die Freiwillige regelmäßig an den Seen und Teichen der Hauptstadt sammeln. Irmer verarbeitete die Tiere zu Pastasoße, zurückhaltendes Urteil: „Besonders lecker war das nicht – und viel Arbeit, das Krebsfleisch aus den Schalen zu pulen.“ Grundsätzlich wünscht sich Irmer in der Debatte um die „Aliens“ – so der Buchtitel seiner Fotoarbeit – mehr Sachlichkeit und weniger Emotionen.
Denn es ist ja nicht zuletzt der menschengemachte Klimawandel, der dafür sorgt, dass viele Arten ihren Weg hierher gefunden haben und auf Dauer heimisch geworden sind. Eindrucksvoll erlebt Irmer das in seiner alten Heimat, der Gegend um Mannheim. Dort, wie auch im ganzen Rheinland, haben sich zahlreiche leuchtend grüne Halsbandsittiche angesiedelt.
„Die Winter werden immer milder, und dadurch überleben immer mehr Jungvögel“, erklärt der Fotograf. Zwar ist es auch für ihn merkwürdig, die exotischen Papageien zu beobachten, wie sie allmorgendlich in kleinen Schwärmen zum Futtersuchen in die Gärten abfliegen und sich abends laut kreischend in mächtigen Platanen zum Schlaf versammeln – aber ob die Vögel dabei andere Spezies verdrängen, sei noch unklar, darauf will Irmer hinaus. Und betont, dass wir es waren, wir alle, die die Bedingungen für derlei Zuzug geschaffen haben. Einige der menschlichen Bewohner der Region sind genervt von den Vögeln, andere heißen sie längst willkommen. Denn das muss man sich ja wirklich mal vorstellen: Papageien, die vor der Schornsteinkulisse Mannheims in die Lüfte aufsteigen!