Personalmangel: Was Migranten im Norden die Arbeit erschwert

Was hindert Migrantinnen und Migranten am Berufseinstieg? Und was benötigen Unternehmen, um Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen? Firmen in Schleswig-Holstein berichten.

In kaum einem anderen Berufsfeld ist der vielzitierte Fachkräftemangel so greifbar wie in der Pflege – doch auch anderswo treten Hürden auf. „Wir sind ein buntes Haus“, sagt Sabine Richter, die Pflegedirektorin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Ohne ausländische Fachkräfte gehe es nicht.

Am UKSH, mit Standorten in Kiel und Lübeck, arbeiten laut Richter rund 17.000 Menschen aus 110 Nationen. Seit 2016 hat das Klinikum etwa 1.000 internationale Fachkräfte nach Schleswig-Holstein geholt. Nur 13 Prozent von ihnen haben das UKSH wieder verlassen. 87 Prozent sind geblieben – ein Beleg für das gelungene Integrationskonzept des Klinikums, so Richter. 

Doch reicht es nicht, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Sie müssen auch eingestellt werden, was zahlreiche bürokratische Hürden erschweren. 

Überlastete Behörden

Seit sieben Jahren arbeitet die Vietnamesin Thi Theu Nguyen am UKSH. Im Dezember 2024 beantragte sie erneut ihren Aufenthaltstitel. „Im Mai habe ich meine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, also nach einem halben Jahr“, kritisierte sie. Oft musste sie unverrichteter Dinge nach Hause gehen, obwohl ihr Aufenthaltstitel längst abgelaufen war. „Dann habe ich eine E-Mail geschrieben, aber oft heißt es: „Ich bin dafür nicht zuständig““, erinnert sie sich.

Kadie Rogers, Pflegekoordinatorin des UKSH, erklärt: „Alleine sind die Termine mit der Ausländerbehörde kaum zu schaffen.“ Sie zeigt Verständnis für die Behörde, die nach ihren Angaben oft zehntausende Menschen gleichzeitig betreut. Pflegekräfte, die ohne Unterstützung dorthin gehen, werden daher häufig wieder weggeschickt. 

Das UKSH hat daher laut Pflegedirektorin Richter inzwischen direkte Kontakte zur Bundesagentur für Arbeit und zu den zuständigen Ministerien aufgebaut. Zudem bietet es selbst Integrations- und Sprachkurse an. Dennoch seien weiterhin erstaunlich viele Bescheinigungen nötig. „Das Schönste wäre, wenn wir bei all diesen Bürokratien eine Sammelstätte hätten“, sagt die Pflegedirektorin.

Gedanken über Rückkehr

Vor sechs Jahren kam die Brasilianerin Lais Oliveira Silva nach Schleswig-Holstein und arbeitet heute als Pflegekraft am UKSH „Ich habe diese Werbung in meiner Uni gesehen und in Brasilien ist zu viel Personal da“, erzählt sie. Besonders in den ersten zwei Jahren dachte Silva oft daran, in ihre Heimat zurückzukehren. Das lag nicht nur an der Bürokratie, sondern auch an der Sprache, psychischen Belastungen und der schwierigen Integration.

„Ich habe das Gefühl, dass viele uns in Deutschland nicht wollen, aber sie können nichts machen, weil sie uns brauchen“, betont sie. Vor allem außerhalb der Arbeit erlebt sie immer wieder Rassismus: Menschen, die wegsehen, oder solche, die den Rucksack nicht von einem freien Platz im Bus nehmen. „Das ist auch ein Grund, warum mein Mann und ich überlegen, nach Brasilien zurückzugehen.“

Die Pflegedirektorin Richter erklärte, dass bei der Vielzahl der Mitarbeitenden jede politische Einstellung vertreten sei. Das führe mitunter zu Problemen: Kleinere Vorfälle, über die niemand spricht, blieben ungelöst. Sie betont jedoch: „Aber wir haben eine ganz eindeutige Nulltoleranz zu Mobbing und Rassismus.“

Geduld ist wichtig

Rufin Arnaud Foejo kam nach dem Abitur nach Deutschland, weil seine Tante in Lübeck lebt. Nach seinem Elektrotechnik-Studium an der Fachhochschule Kiel stieß der gebürtige Kameruner auf eine Trainee-Stelle bei den Stadtwerken der Landeshauptstadt und bewarb sich. „Ich habe schnell eine Rückmeldung bekommen und wurde angenommen“, sagt Foejo. Doch bei ihm hakte es bei der Ausländerbehörde: 

Sie verlangte zahlreiche Genehmigungen, die er einreichte. „Aber das Problem ist, dass wenn du die ganzen Dokumente eingereicht hast, du keine Rückmeldung mehr bekommst“, erklärt Foejo. Oft warte man wochenlang.“Ich hatte das Glück, dass die Stadtwerke Kiel angeboten haben, meine Einstellung um einen Monat nach hinten zu verschieben.“

„Ich glaube, nicht jedes Unternehmen hätte diese Geduld“, betont Foejo. Die lange Wartezeit habe ihn fast dazu gebracht, sich im Ausland zu bewerben. Doch er spürte die Unterstützung des Unternehmens.“Und dieses Gefühl war wirklich wichtig für mich.“ 

Auch die Stadtwerke Kiel kritisieren die schleppenden Abläufe bei den Behörden. Die Kommunikation laufe meist schriftlich, erklärt Tina Struck vom Personalrecruiting des Unternehmens. „Dass jemand seitens der Ausländerbehörde direkt, persönlich oder telefonisch auf uns zukommt, passiert so gut wie nie.“ 

Fehlende Digitalisierung

Yevheniaa Salii floh vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine und arbeitet heute im Kreis Rendsburg-Eckernförde beim Agrarservice Lass. Das Unternehmen, so Geschäftsführer Martin Laß, ist ein mittelständischer Betrieb mit landwirtschaftlichen Wurzeln, der sich auf den Service und Vertrieb von regenerativen Speicherkraftwerken spezialisiert hat.

Anfangs fiel es der Ukrainerin schwer, die deutsche Bürokratie zu durchschauen: „Wir können die meisten Dienstleistungen mit dem Handy machen“, berichtet Salii. Dafür gebe es eine spezielle App, mit der man alles von zu Hause aus regeln könne.

„Es war sehr überraschend für mich, dass alles mit Briefen gemacht wird“. So sollte sie ein Dokument innerhalb eines Monats einreichen, doch der nächste freie Termin war erst in einem halben Jahr verfügbar. Salii betont: „Es war anfangs schwierig, mich anzupassen und das Ausmaß der Bürokratie zu begreifen.“

Komplizierte Anerkennung von Dokumenten

Ein weiteres Hindernis sei, dass die Dokumente ausländischer Fachkräfte nicht automatisch anerkannt werden – ob Diplom oder Führerschein, erklärt Nils Martensen, der beim Agrarservice die operative Bereichs- und Personalleitung übernimmt. Besonders das Umschreiben von Führerscheinen bedeute viel Aufwand.

„Die Kollegen fahren alle Autos, teilweise lange Jahre und plötzlich müssen sie wieder von vorn anfangen“, ergänzt eine Unternehmenssprecherin. Wegen der Bürokratie dauere das oft sehr lange. Sie forderte eine Art Überholspur für Unternehmen bei den Behörden. 

Bürokratischen Aufwand abnehmen

„Knapp 40 Prozent der Erwerbsmigranten, die nach Schleswig-Holstein kommen, kündigen innerhalb der ersten sechs Monate“, sagt Özgür Yurteri von der Industrie- und Handelskammer Flensburg. Viele wechseln dann den Betrieb oder verlassen das Land. Deshalb braucht es nach seiner Einschätzung landes- oder bundesgeförderte Stellen, die den bürokratischen Aufwand übernehmen und die Integration aktiv begleiten.

Madsen will „mutige Diskussion“

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) sind die Probleme der Unternehmen vertraut. Er fordert eine „große, mutige Diskussion“ über Arbeitsmigration. Deutschland müsse klären, wohin es steuern will, ob es gezielt Fachkräfte im Ausland anwerben und wie es dies umsetzen wolle.

Laut Madsen steht das Land in einem harten Wettbewerb – vor allem mit Amerika und Kanada – um ausländische Fachkräfte. Um attraktiver zu werden, brauche es mehr Digitalisierung, klare Regeln und schlankere Verfahren. „Wenn man eineinhalb, zwei Jahre braucht von dem Moment, wo man sich zur Arbeit in Deutschland entscheidet, bis zum Arbeitsbeginn – dann verlieren wir viele Talente“, warnt der Minister. 

Zudem müsse man pragmatischer vorgehen. Madsen schlägt vor, Qualifikationen möglichst direkt im Beruf nachzuweisen. Die derzeitigen unterschiedlichen Anforderungen schreckten hingegen viele Unternehmen ab. „Die sagen dann: Das ist mir zu umständlich, ich lasse es lieber.“