Prozess in Stuttgart: „Wirklich? Neiiiiin!“

Die 66-jährige Isabelle D. verliebte sich in ihren 38-jährigen Schüler, einen Asylbewerber aus dem Iran. Nun steht er wegen Mordes vor dem Stuttgarter Landgericht. Was ist passiert?

Im Oktober vergangenen Jahres machten sich ihre Freunde Sorgen um Isabelle D. Sie hatte sich verliebt, über ihr Glück freuten sie sich. Aber Isabelle war neuerdings schwer zu erreichen, weder telefonisch noch persönlich. „Sie war auf einmal komisch“, so schildert es ein langjähriger Bekannter vor Gericht. Die aus Frankreich stammende Sprachlehrerin, die im schwäbischen Nürtingen lebte, schrieb ausweichend, es sei „ein bisschen kompliziert“ mit ihrer neuen Beziehung. Er möge nicht mehr abends anrufen, das mache ihr Probleme mit dem neuen Partner. Zugleich schickte Isabelle irritierende Nachrichten, die nicht von ihr selbst stammen konnten. Beispielsweise: „Ich will keinen Sex mit dir, das weißt du ganz genau. Ich hab jemand kennengelernt!“

Dieser Jemand steht jetzt vor Gericht, angeklagt wegen Mordes. Der Mann, der offensichtlich die totale Kontrolle über Isabelle D. haben wollte. Über ihre Chats, Telefonate und Freundschaften. Und am Ende auch über ihr Leben. Er habe sie aus „erheblicher Eifersucht“ gebissen und stranguliert, „sehr wahrscheinlich mit beiden Händen“, so der Staatsanwalt in der Anklage, sie in ein Laken gewickelt und im Neckar versenkt. 

Es ist das brutale Ende einer kurzen Beziehung. Und eine Tat, die die Stadt aufwühlte. Denn Sakar M., 38 Jahre alt, war Asylbewerber und ein Sprachschüler der 66-jährigen Lehrerin. Zum Prozessauftakt schweigt er, er will möglicherweise später eine Aussage machen. 

Die Lehrerin und ihr Sprachschüler haben gleich einen Draht zueinander

Isabelle D. galt als anspruchsvolle Lehrerin. Sie hätten sie gebeten, ihre Anforderungen für Geflüchtete zu senken, sagte ein Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt vor Gericht aus. Das habe sie erbost, „das hat sie als Angriff auf sich gesehen“. 

Sakar M., der im Juli 2024 ihren Sprachkurs besucht, lernt schnell – und hat wohl von Anfang an einen Draht zu seiner Lehrerin.  Er baut Geigen, musiziert und malt. Und besucht teils mehrere Sprachkurse gleichzeitig.

In der Flüchtlingsunterkunft bei Nürtingen, in der er zu dieser Zeit lebt, gilt er jedoch als Außenseiter. Als einer, der „sehr jähzornig werden kann“, so schildert ihn der Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt. M. sei der Ruf vorausgegangen, er fühle sich als „etwas Besseres“.  Es habe „jede Menge Stress“ mit ihm gegeben. Er sei ihm von Anfang an „unheimlich“ gewesen. „Was war unheimlich?“, hakt die Vorsitzende Richterin nach. „Wenn man mit ihm geredet hat, wirkte er abwesend – dieser starre Blick, das war nicht normal.“ 

Eine Psychotherapie sollte ihm helfen

Einem Psychotherapeuten aus Tübingen, der vor Gericht als Zeuge aussagte, gab M. Anfang 2024 erste Einblicke in sein Leben. Der Asylbewerber kam dreimal zu sogenannten Clearing-Gesprächen. Er sei Kurde und im Iran diskriminiert und inhaftiert worden. Im Gefängnis hätten sie ihn gefoltert, beispielsweise mit Zigaretten, die auf seinem Körper ausgedrückt wurden, das sei der Bruch mit seinem alten Leben gewesen. Wie er den Iran verlassen konnte, wie er nach Deutschland kam, blieb in der Verhandlung unklar. M. bestätigt dem Therapeuten, dass er sich in der Asylunterkunft nicht wohlfühle. Er empfinde sich als „Opfer von Diskriminierung, werde von den anderen angegangen, sei gestresst und könne schlecht schlafen.“ 

Der Eindruck des Psychotherapeuten: Ein höflicher Mensch mit starkem Redebedürfnis, der sich von anderen abheben will. „Er hat sich als sehr intelligent und gebildet beschrieben, die anderen waren für ihn ungehobelte einfache Menschen.“ Eine Psychotherapie soll ihm helfen, mit Stress und belastenden Erinnerungen umzugehen.

Isabelle D. ist mit 66 Jahren eine lebenserfahrene Frau. Aber auch einsam, sagte ihr Bekannter. „Sie hatte nur uns, keine Familie. Sie hätte gerne Familie gehabt.“ 

Von ihrer Liebesbeziehung weiß kaum jemand. Im September 2024 schreibt sie: „Du bist schlau, ein schöner Mann, hast viele Talente.“ Er schreibt ihr: „Guten Morgen Isabelle, ich vermisse dich.“ Und öfter: „Mir geht es nicht gut.“ 

„Sie ist erwachsen“, beruhigten sich die Freunde im Oktober gegenseitig. An Abend des 19. Oktober schreibt Isabelle D. eine kurze Nachricht an ihren Bekannten. „Heute geht es auch nicht. Ich rufe dich an.“ Sakar M. und Isabelle D. gehen gemeinsam abends einkaufen. Danach telefoniert sie mit einem Bekannten, dem sie beim Dolmetschen helfen will. Kurz vor Mitternacht kommt es zum Streit. Sakar M. habe von seiner Freundin verlangt, ihren Kontakt zu anderen Männern einzustellen. 

Am nächsten Tag finden Spaziergänger die Leiche von Isabelle D. am Ufer des Neckar. Sakar M. fehlt an diesem Tag im Sprachkurs beim Arbeitskreis Asyl, den er zusätzlich besucht. Als eine Bekannte ihm schreibt, ob er wisse, dass Isabelle gestorben sei, antwortet er: „Wirklich? Neiiiiin!“ Er löscht darauf den Kontakt zu seiner Freundin auf seinem Handy. Und bietet seine Geige zum Verkauf an.