Es herrscht Unfriede im noch jungen Regierungsbündnis. Können die Spitzen von Union und SPD ihre Streitthemen abräumen? Die schwarz-rote Koalition steht vor einer Belastungsprobe.
Tim Klüssendorf hat langsam die Faxen dicke. Die Union tue gerade das, moppert der neue SPD-Generalsekretär, wofür sie die Ampel immer kritisiert habe. „Sie kündigt gemeinsame Einigungen der Regierung von der Seitenlinie auf und sät Zwietracht“, so Klüssendorf gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Wer möglichst laut in den deutschen Blätterwald hineinrufen will, wählt diesen Weg. Der Frust der Sozialdemokraten sitzt tief, Klüssendorf lässt daran keinen Zweifel. Der Kanzler solle „die Störfeuer aus den eigenen Reihen“ beenden, fordert er.
Ist Schwarz-Rot schon im Ampel-Modus?
Es herrscht jedenfalls Unfriede im noch jungen Regierungsbündnis. Der Koalitionsausschuss am Mittwoch (ab 17.30 Uhr) könnte zur Belastungsprobe werden. Das Spitzengremium von Schwarz-Rot soll dazu da sein, drohende Konflikte möglichst frühzeitig zu erkennen, zu entschärfen und abzuräumen. Gar nicht so leicht, angesichts der Fülle an akuten Reiz- und Streitthemen. Ein Überblick:
Stromsteuer
War man anfangs noch verblüfft, ist man in der SPD zunehmend angesäuert vom Agieren des Koalitionspartners. Sprechen die sich nicht ab? Wie belastbar sind Vereinbarungen noch, wenn sie kurz darauf – und öffentlich – kassiert werden?
Anlass des zunehmenden Sozi-Argwohns sind die lautstarken Forderungen aus der Union, die Stromsteuersenkung nun doch für alle Unternehmen und Verbraucher abzusenken. Aufgrund der Haushaltslage hatte die Bundesregierung beschlossen, die Absenkung zunächst nur für die Industrie, Land- und Forstwirtschaft zu verstetigen.
In der SPD stößt das Vorgehen der Kollegen sauer auf. Denn obwohl die Stromsteuer-Entscheidung auch vom Kanzler und seinen CDU-Kabinettskollegen abgesegnet wurde, entsteht (absichtsvoll?) der Eindruck, als würde Finanzminister Lars Klingbeil den knallharten Kassenwart geben, mit dem nicht zu reden sei.
Generalsekretär Klüssendorf hält dagegen – und stichelt jetzt zurück. Wenn eine Finanzierung für weitere Entlastungen für Verbraucher bei der Stromsteuer gefunden werde, sei die SPD „sofort“ dabei. „Dafür müssen aber auch CDU und CSU die Bereitschaft haben, eigene Lieblingsprojekte neu zu priorisieren.“
Aus der Union ist zu vernehmen, dass man sich etwa eine schrittweise Stromsteuersenkung vorstellen könnte, die über Jahre gestaffelt sein könnte. Auf der Strecke könnte man dann nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Das kann ja heiter werden.
Bürgergeld
Denn woher das Geld für die Stromsteuersenkung für alle kommen soll – und das Finanzministerium sähe in diesem Fall allein im kommenden Jahr einen Bedarf von rund 5,4 Milliarden Euro – ist noch völlig unklar. Oder?
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat nun einen verwegenen Vorschlag in die aufgeheizte Debatte eingespeist, der bei der SPD auf wenig Gegenliebe stößt: „Es kann nicht sein, dass wir beim Bürgergeld Rekordausgaben haben und deswegen andere wichtige Anliegen wie Entlastungen bei der Stromsteuer aufschieben müssen“, sagte er. Genau darüber werde im Koalitionsausschuss zu sprechen sein, kündigte Bayerns Ministerpräsident an. Es klingt wie eine Drohung.
Auftritt: Bärbel Bas. Die Arbeitsministerin und neue SPD-Chefin wird erstmals beim Koalitionsausschuss – der sonst ausschließlich aus Männern besteht – dabei sein und hat am Wochenende ihre Linie klargestellt. Die Grundsicherung werde weiterentwickelt, sagte sie auf dem SPD-Parteitag, mit „Augenmaß und Gerechtigkeit“. Und: „Sozial-Kahlschlag wird es mit mir nicht geben!“
Zuletzt hatte Bas ein Fragezeichen ans Einsparpotenzial durch verschärfte Sanktionen gemacht. Aus der Union sind gänzlich andere Töne zu vernehmen. Die Kosten liefen „aus dem Ruder“, meint Unionsfraktionschef Jens Spahn. Es brauche „signifikante Einsparungen“, fordert CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann.
Der Druck aus der Union, die im Koalitionsvertrag verabredete Bürgergeldreform rasch umzusetzen, nimmt zu. Was wird Arbeitsministerin Bas tun?
Die neue SPD-Chefin wurde mit satten 95 Prozent von den Genossen gewählt, nicht zuletzt für ihre Anti-„Kahlschlag“-Rhetorik. Ein starkes Mandat – aber auch ein Auftrag ihrer Genossinnen und Genossen, sich teuer zu verkaufen.
Mütterrente
Ein Prestigeprojekt für die CSU, aber auch ein Wahlversprechen, ist die Ausweitung der Mütterrente, die nach den bisherigen Plänen von Schwarz-Rot Anfang 2028 kommen soll. Parteichef Söder will sie nun „deutlich schneller“ haben, was sich allein technisch als schwieriges und komplexes Unterfangen erweisen könnte. Teuer ist die Maßnahme allerdings auch, schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Womit wir wieder bei der Stromsteuersenkung wären und einer SPD, die sich offenbar auch nicht von Sticheleien nach alter Ampel-Manier befreien kann. So bringt SPD-Chefhaushälter Thorsten Rudolph gegenüber „Politico“ ins Spiel, die Strom-Milliarden durch den Verzicht auf andere Maßnahmen zu finanzieren.
„Wenn die Union tatsächlich auf konsumtive Ausgaben zugunsten einer Senkung der Stromsteuer verzichten will, sollte sie zuallererst auf ihre extrem teuren Wahlgeschenke bei Gastronomie, Agrardiesel und Mütterrente verzichten“, sagte Rudolph. Und setzte hinterher, dass er „schon irritiert“ sei, „dass Teile der Union offenbar die Rolle der FDP in der Ampel übernehmen wollen und Koalitionskompromisse sofort wieder infrage stellen“. Das sei verantwortungslos.