Konflikt in Koalition: SPD stemmt sich gegen Wehrpflicht – und ist verärgert über Söder

Die Union lässt nicht locker, will das Pflicht-Element im neuen Wehrdienst stärken. Bei der SPD wächst derweil der Ärger. Generalsekretär Klüssendorf stellt nun etwas klar. 

Es gibt Redebedarf in der Koalition, wieder einmal. Oder immer noch? Monatelang hatte die schwarz-rote Bundesregierung um ihr neues Wehrdienst-Modell gerungen. Nun bricht ein schwelender Konflikt wieder offen auf: Muss das Pflicht-Element deutlich stärker betont werden, um den Truppen-Aufwuchs zu organisieren?

Die Sozialdemokraten zeigen sich verärgert über die jüngsten Äußerungen des Koalitionspartners und beharren darauf, in einem ersten Schritt auf Freiwilligkeit zu setzen. „Wir haben uns in der Koalition gemeinsam auf einen klaren Weg verständigt: Der neue Wehrdienst wird freiwillig sein. Punkt“, sagte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf dem stern. „Daran werden sich alle halten – auch Markus Söder.“ 

Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident hatte eine „Wischiwaschi-Wehrpflicht“ beklagt und betont, dass „halbe Sachen“ nicht mehr reichten. „An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei“, sagte er der „Bild am Sonntag“ und mahnte, dass es in Zeiten großer Bedrohung „mehr als eine Fragebogen-Armee“ brauche. Zuletzt hatten sich auch andere Unionspolitiker deutlich für eine Wehrpflicht ausgesprochen, darunter Bundesaußenminister Johann Wadephul von der CDU. 

SPD-Generalsekretär Klüssendorf kritisiert das nun scharf. „Wer wieder und wieder Debatten aufwärmt, schwächt die Glaubwürdigkeit der Politik und verunsichert junge Menschen“, sagte er dem stern. Stattdessen müsse man nun endlich in die Umsetzung kommen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. „Und mit dem neuen Wehrdienst werden wir sie erreichen.“ Auch die SPD-Vizefraktionsvorsitzende Siemtje Möller mahnt ein rasches Gesetzgebungsverfahren an und kritisiert „wenig kenntnisreichen Kommentare von der Seitenlinie“.

Wehrdienst: Beratung im Bundestag verschoben

In der Union gibt es massive Vorbehalte gegen die aktuellen Wehrdienstpläne. Der entsprechende Gesetzentwurf soll nun erst übernächste Woche im Bundestag beraten werden – ursprünglich war die erste Lesung für kommenden Donnerstag angesetzt. 

In den Reihen von CDU und CSU wird schon seit längerem kritisiert, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht genau definiere, unter welchen Bedingungen die bisher geplante Freiwilligkeit beim Wehrdienst in eine neue Pflicht umgewandelt werden könnte. 

Schon vor dem Kabinettsbeschluss hatte es deshalb Reibereien in der schwarz-roten Bundesregierung gegeben. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte sogar einen Leitungsvorbehalt gegen den Entwurf von Bundesverteidiungsminister Boris Pistorius (SPD) eingelegt, diesen aber kurzfristig wieder zurückgezogen. Grundsätzlich bleibt Wadephul bei seiner Haltung: „Ich bin für die sofortige Wehrpflicht“, sagte der Außenminister am Mittwoch zur Funke Mediengruppe.  

SPD-Minister Pistorius: „Verhalten der Unionsfraktion ist fahrlässig“

Bei den Sozialdemokraten sorgt das Vorgehen des Koalitionspartners zunehmend für Kopfschütteln, auch beim federführenden Ressortchef. Boris Pistorius kritisierte scharf, dass CDU/CSU das Gesetz für den neuen Wehrdienst nicht wie geplant am kommenden Donnerstag erstmals im Bundestag debattieren will. „Das Verhalten der Unionsfraktion ist fahrlässig, weil es möglicherweise die Einführung des neuen Wehrdienstes und damit auch die Wiedereinführung der Wehrerfassung verzögert“, sagte Pistorius dem Handelsblatt.

Im parlamentarischen Verfahren gebe es verschiedene Möglichkeiten, vom Gesetzentwurf abweichende Haltungen einzubringen – etwa durch Änderungsanträge. Auch die Anhörung von Sachverständigen dienten dazu, Expertise von außen einzuholen, so dass kein Argument unberücksichtigt bleibe. Pistorius forderte die Unionsfraktion dazu auf, „am Zeitplan festzuhalten und sich so einzubringen, wie es das parlamentarische Verfahren vorsieht“. 

Siemtje Möller, Vizefraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, gibt sich angesichts der Verzögerung gelassen. „Dass es weiteren Gesprächsbedarf bei der Union gab und gibt, war ja kein Geheimnis, aber stand bisher einer Einbringung im Bundestag nicht entgegen“, sagte die Verteidigungspolitikerin dem stern. Die Verhandlungen werde man nun fortführen. 

Allerdings mahnt auch Möller, dass der Gesetzentwurf schnell beraten werde. „Wichtig ist, dass wir zügig zur ersten Lesung kommen, um den Gesetzgebungsprozess bis zum Jahresende abzuschließen und dann umgehend mit der Personalgewinnung für die Bundeswehr starten zu können“, sagte sie. „Um dies möglichst konstruktiv und vertrauensvoll tun zu können, helfen die wenig kenntnisreichen Kommentare von der Seitenlinie wenig.“

Die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius sollen pro Jahr Zehntausende neue Rekruten zur Bundeswehr bringen, bis auf Weiteres allerdings auf freiwilliger Basis. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf bringt die Position der Sozialdemokraten, die lange um eine gemeinsame Haltung gerungen hatten, auf diese Formel: „Wir werben bei jungen Menschen, sich in der Bundeswehr für unser Land zu engagieren – ohne Pflicht, aber mit Perspektiven: mit guter Ausbildung, attraktiven Chancen und hoher Anerkennung.“

Die Bundesregierung hatte Ende August unter dem Eindruck des Konflikts mit Russland das umstrittene Wehrdienstgesetz beschlossen. Das Vorhaben setzt zwar zunächst auf Freiwilligkeit, bei einem Soldaten-Mangel kann aber auch eine Pflicht greifen, wie der Entwurf festlegt. Ein verpflichtender Wehrdienst ist demnach vorgesehen für den Fall, dass Rekrutierungsziele nicht erreicht werden oder die Sicherheitslage höhere Zahlen nötig macht. Es gibt aber keinen Automatismus, keine festgelegte Zahl und keinen festgelegten Zeitpunkt für eine Wehrpflicht. 

Die Union bezweifelt, dass so die anvisierte personelle Stärkung der Truppe erreicht werden kann. Dass CSU-Chef Markus Söder seine Kritik nun erneuert und deutlich verschärft hat, dürfte kein Zufall sein: Am Mittwoch findet der nächste Koalitionsgipfel von Schwarz-Rot statt.