In den Bergen die Orientierung zu verlieren kann schnell gefährlich werden. Ein Bergführer erklärt, wie man sich richtig verhält – und was der größte Fehler wäre.
Eben noch ging es über satte Almwiesen, vorbei an Kühen und mit grandiosem Panorama. Im nächsten Moment ist das Gelände steil, kein Weg ist mehr zu erkennen. In den Bergen geht das Verlaufen schneller als anderswo. Auch die Folgen sind ernster: Hoch oben kippt das Wetter schneller als im Flachland, nachts kühlt es stark ab, dazu kommt die Absturzgefahr. Die Berge sind ein Ort der Sehnsucht. Aber auch der Gefahr.
Stefan Winter ist Bergführer und koordiniert das Krisenmanagement des Deutschen Alpenvereins. Er kennt sich aus in den Alpen. Und warnt vor Hochnäsigkeit: „Sich im Gebirge zu verirren, das kann jedem passieren. Mir selbst auch schon, mehrmals.“ Zum Glück hat Winter einige Tipps, mit denen sich das Risiko deutlich reduzieren lässt. Im Ernstfall helfen sie, heil wieder ins Tal zu kommen.
Wieso verirren sich Menschen im Gebirge?
Wer ans Verirren denkt, hat meist Nebel vor Augen oder Dunkelheit. „Das ist aber in den Bergen eher selten der Grund“, sagt Winter. „Unter der Baumgrenze sind die meisten Pfade so eindeutig, dass man schon die Hand vor Augen nicht mehr erkennen müsste, um sie zu verlieren.“ Wer hier vom Weg abkommt, glaubt Winter, mache das eher mit Absicht – um eine Abkürzung zu nehmen, Pflanzen oder Steine zu sammeln. Und findet dann nicht mehr zurück.
Oft seien es auch die Spuren von Almvieh oder Gämsen, die Wanderer in die Irre leiten. „Die sehen aus wie ein Pfad. Aber plötzlich verlieren sie sich im Nichts. Wer es nicht rechtzeitig merkt, steht irgendwann im weglosen Gelände.“
Oberhalb von 2000 Metern, wo keine Bäume mehr stehen und der Untergrund felsig ist, werde es schwieriger, die Wege zu erkennen, sagt Winter. Auch im Sommer könne hier Schnee liegen. Wer kurz nicht aufpasse, übersehe schnell eine Kehre und stapfe in die falsche Richtung.
Wie kann ich verhindern, mich zu verirren?
„Während der Tour ist es wichtig, in regelmäßigen Abständen den eigenen Standort zu überprüfen“, sagt Winter. Das könne über Wegweiser oder Merkmale im Gelände erfolgen, am einfachsten aber mit einer Karten-App auf dem Smartphone. Zu der rät Winter ohnehin: „Apps wie Bergfex oder Alpenvereinaktiv, die mit echten topografischen Karten arbeiten, sind sehr hilfreich.“ Google Maps hingegen funktioniere in den Bergen nicht, da es das Gelände nicht detailliert genug anzeigt und auch viele Wege nicht eingezeichnet sind. Zu bedenken sei aber: Die GPS-Ortung auf dem Smartphone verbraucht viel Strom, vor allem, wenn es kühler ist. Winter rät deshalb zu einer Powerbank. Auch eine Karte aus Papier sei sinnvoll, für den Notfall und die großräumige Orientierung.
Ohnehin sollten in keinem Rucksack fehlen: ein kleines Erste-Hilfe-Set, eine Rettungsdecke und angemessener Wetterschutz. „Auch eine Trillerpfeife und eine Taschenlampe sind praktisch“, so Winter. Mit ihnen könne im Notfall um Hilfe gerufen werden.
Eine gute Idee sei auch, immer jemandem Bescheid zu geben, wo man ist und was man plant. Dann sei es aber wichtig, Änderungen auch mitzuteilen. Sonst starte womöglich eine unnötige Rettungsaktion.
Was tun, wenn ich trotzdem vom Weg abkomme?
„Sobald man merkt, dass man nicht mehr auf dem markierten Weg ist: Unbedingt genauso zurückgehen, wie man gekommen ist!“, sagt Winter. Er warnt vor Abkürzungen durch das Gelände, die vermeintlich schneller wieder auf den Weg führen. „Der größte Fehler, den man in einer solchen Situation machen kann, ist, direkt nach oben oder unten zu gehen“, so der Bergführer. Das zehre Kraft und ende schnell in absturzgefährdetem Gelände. „Viele Leute geraten in Panik und laufen dann direkt Richtung Tal. Und dann stehen sie plötzlich an einer Felswand.“
Finde man auch den Weg zurück nicht mehr, rät Winter, innezuhalten. „Wichtig ist jetzt, zuerst auf das körperliche Wohlbefinden zu achten: etwas essen, trinken, einen windstillen Bereich aufsuchen und sich richtig anziehen.“ Ansonsten laufe man Gefahr, sich unwohl zu fühlen und aus Verzweiflung eine falsche Entscheidung zu treffen. „Das kann in den Bergen schnell fatal enden.“
Danach sollte man alle Optionen in Gedanken durchspielen. Um eine Entscheidung zu treffen, sei es wichtig, zunächst eine realistische Selbsteinschätzung vorzunehmen: „Wie viel Kraft habe ich noch, wie sicher fühle ich mich in diesem Gelände?“
Wann sollte man um Hilfe rufen?
Lieber zu früh als zu spät, sagt Winter. „Ein unnötiger Anruf macht der Bergrettung nichts aus.“ Die schicke schließlich nicht immer sofort einen Hubschrauber. Oft lasse sich die Situationen am Telefon lösen, sagt Winter.
Gibt es keinen Mobilfunkempfang, könne man versuchen, über Lichtsignale oder Pfeifen auf sich aufmerksam zu machen. Bestimmte neuere Smartphone-Modelle können auch ohne Funknetz über eine Satellitenverbindung den Notruf wählen und die Position übermitteln.