Meinung: Wehrpflicht auch für Frauen? Ja … nein … vielleicht …

Deutschland fehlen 80.000 Soldaten. Die Bundesregierung will das notfalls mit der Wehrpflicht lösen. Gute Sache, findet unsere Autorin. Trotzdem hadert sie.

Geht es nach der Bundesregierung, dann müssen Männer wieder beim Wehrdienst ran. Zumindest sollen sie erst einmal einen Fragebogen ausfüllen, damit der Verteidigungsminister weiß, wer freiwillig diensttauglich wäre. Frauen dürfen auch, müssen aber nicht. Mein Freund ist entsetzt. Warum nur Männer, will er wissen und setzt noch einen obendrauf: „Sind wir etwa wegen unseres Geschlechts weniger wert?“

Männer als Kanonenfutter? Diese These finde ich reichlich übertrieben. Zumal die Wehrpflicht vorerst weiter ausgesetzt bleibt. (Was die Bundesregierung konkret vorhat, lesen Sie hier.)

Trotzdem verunsichert mich als Frau das Thema. Als Teenager las ich unzählige Bücher über den Zweiten Weltkrieg. Frauen waren darin Widerstandskämpferinnen, Trümmerfrauen, Helferinnen, aber standen nie mit einer Waffe an der Front. Das war Männersache – in meinen Büchern und damit irgendwie auch in meinem Kopf. Mediale und private Diskussionen über Fairness bei der Wehrpflicht haben meine, zugegeben, heroische, ja rückständige, Vorstellung vom Krieg zwar ins Wanken gebracht. Vollständig überzeugt haben sie mich aber auch nicht.

Warum sollen Frauen zum Wehrdienst verpflichtet werden, wenn immer Männer die Kriege vom Zaun brechen? Nicht zu vergessen, das Gender-Care-Gap. Frauen leisten trotz zunehmender Gleichberechtigung immer noch deutlich mehr Stunden im Haushalt, neben dem Beruf. Auch das Kinderkriegen wird immer Frauensache bleiben. Und wer sagt, dass wir im Kriegsfall Däumchen drehend in der guten Stube hocken und auf Feldpost warten? Wir können beispielsweise zum Sanitätsdienst eingezogen werden, wenn es an Personal mangelt!

Frauen müssen sich die Front-Frage stellen

Zugegeben, an die Dimension eines militärischen Gefechts kommen die täglichen Kämpfe zwischen Care-Arbeit, Kinderbetreuung und Karriere natürlich nicht heran. Logisch, dass mein Freund direkt fragte, wie ich mich fühlen würde, würde mein Geschlecht – also Frauen – im Ernstfall dazu verdonnert, auf andere Menschen zu schießen. Einer Verantwortung im Kriegsfall würde ich mich nicht verweigern. Allerdings ist das in Friedenszeiten leicht gesagt.

Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, habe ich mir unzählige Male die Frage gestellt, ob ich mein Leben, meine Familie, mein Zuhause, mein Land militärisch verteidigen würde. Ergebnis: Lieber würde ich in einem Feldlazarett Verwundete verarzten. Nur: Wenn man Frauenquoten in Führungsriegen von Dax-Konzernen oder im Bundestag diskutiert, dann sollte man auch über das Militär nachdenken. Weibliche Führungskräfte in börsennotierten Unternehmen retten uns jedenfalls nicht, wenn die Panzer an der Grenze stehen.

Vor diesem Hintergrund ist das althergebrachte Wehrpflichtmodell heute nicht mehr zeitgemäß. Im Deutschen Kaiserreich wurde das Wahlrecht auf all jene Männer ausgeweitet, die sich militärisch betätigten. Und weil Wahlen bis 1918 Männersache waren, hatten Frauen im Wehrdienst nichts zu suchen. Dass sie sogar bis 2001 bei der Bundeswehr unerwünscht waren, liegt auch am Grundgesetz, wonach Frauen niemals zum Dienst an der Waffe gezwungen werden dürfen. Das Grundgesetz stammt aber noch aus einer Zeit, in der Frauen als schwächeres Geschlecht galten, sich ihr täglicher Verdienst auf Küche und Haushalt beschränkte und Arbeitsverträge oder Anmeldungen zum Führerschein vom Ehemann abgesegnet werden mussten.

Rechte bedeuten auch Pflichten

Heute sind die Rahmenbedingungen ganz andere. Entsprechend müsste auch das Grundgesetz angepasst werden. Mein Freund sagt, das werde niemals passieren. Ich bin mir nicht sicher. Das Grundgesetz wurde seit seiner Einführung 1949 mehrere Dutzend Male geändert, Stichworte Notstandsgesetze 1968 oder Ausgaben für Verteidigung und Sondervermögen. Deutschland fehlen 80.000 Soldaten. Das ist das absolute Minimum, um die Anforderungen der Nato zu erfüllen. Je nachdem, wie sich die politische Lage in Europa in den kommenden Jahren weiterentwickelt, könnten mehr Kräfte benötigt werden. Warum dann also nicht auch Frauen verpflichten? Zuletzt haben wir während der Corona-Pandemie gesehen, welche rechtlichen Änderungen im Ernstfall möglich sind.

Auch wenn mir der Gedanke einer Waffe in der Hand nicht gefällt: Feministinnen haben im letzten Jahrhundert viele Rechte für uns erstritten, was nicht gleichbedeutend ist mit unbegrenzten Freiheiten. Wollen wir den Männern ebenbürtig sein, müssen wir uns mindestens mit der Verantwortung auseinandersetzen. Rechte bedeuten auch Pflichten. Das war übrigens – siehe oben – für die Männer nicht anders: Wer für das Kaiserreich eine Waffe in die Hand nahm, wurde mit dem Wahlrecht belohnt. Fragt sich nur, was für uns Frauen herausspränge, wenn wir zum Wehrdienst verpflichtet würden.