Luxus-Make-up: Louis Vuitton verkauft jetzt Lippenstift für 140 Euro

Der Accessoire-Gigant Louis Vuitton steigt ins Geschäft mit dekorativer Kosmetik ein – zu Luxus-Preisen. Im Internet wird darüber heftig diskutiert. Zu Recht?

Es ist schon erstaunlich, wie viel Furor sich im Netz an den kleinsten Dingen bahn bricht: an „Bud Light“-Dosen, Kinderbüchern und eingefallenen Ozempic-Wangen. Und nun an einem Lippenstift. Gut, dieser ist von Louis Vuitton und symbolisiert den Einstieg des Modehauses in den hart umkämpften Make-up-Markt. Für die noble Außenhülle hat man den gefeierten Industriedesigner Konstantin Grcic verpflichtet, der sich an Messingbeschlägen alter Vuitton-Schrankkoffer orientierte. Die Farben und Formeln der Lippenstifte, -balsame und Lidschatten prüfte Visagistin Pat McGrath, eine Branchenlegende, die den Ehrentitel „Dame Commander of the British Empire“ besitzt. Sie entwickelte bereits für Giorgio Armani, Dolce & Gabbana sowie Gucci eigene Make-up-Kollektionen. 

Natürlich wird es eine ganze Reihe kleiner Etuis, Täschchen und Schminkköfferchen geben, mit denen durch die Beauty-Produkte gleich noch der Abverkauf im Kernportfolio der Marke stimuliert wird. Denn dort, das machten die Q2-Zahlen der Konzernmutter LVMH deutlich, läuft es derzeit so gar nicht glamourös: So sank der Umsatz mit Mode und Lederwaren markenübergreifend um neun Prozent, Weine und Spirituosen gingen um vier Prozent runter. Aber: die Kategorie „Kosmetik und Parfum“ wuchs um ein Prozent und die Parfümeriekette Sephora gar um vier Prozent.

Nach Medienberichten wird der Preis für eine Lidschattenpalette bei circa 220 Euro liegen und ein Refill etwa 80 Euro kosten
© Louis Vuitton

Louis Vuitton: Lippenstift für 140 Euro, Lidschatten für 220 Euro

Neben freudiger Erwartung des Starts am 25. August erregte jedoch noch etwas anderes die Gemüter im Internet: die angesichts einer Absatzkrise im Luxussegment mehr als sportliche Preisgestaltung für das Make-up mit LV-Logo. So wechseln die 55 Lippenstifte ab circa 140 Euro den Besitzer, die acht Lidschatten-Paletten ab um die 220 Euro und die Nachfüllpacks schlagen mit circa 60 respektive 80 Euro zu Buche. Das entspricht in etwa den bisherigen Höchstpreisen, die beispielsweise Hermès für ähnliche Produkte seiner im März 2020 lancierten Beauty-Linie verlangt. Da kann das Storytelling im Marketing noch so viel von „Schmuckstücken“, „Nachhaltigkeit“, „Hyaluronsäure“ und „intensiven Pigmenten“ für bis zu acht Stunden Haltbarkeit palavern – das bleibt kostspielig. Zu teuer zum Abschminken.

Wer ob dieser Preise erzürnt ist und googelt, was die Herstellung eines Lippenstifts eigentlich kostet, wird sich noch mehr aufregen. In der Regel fallen Kosten in ungefähr dieser Höhe an:

Inhaltsstoffe: 1 DollarTube und Kappe: 1,50 DollarAbfüllung: 0,60 Dollarluxuriöse Verpackung: bis zu 5 DollarEntwicklung und dermatologische Tests: mehrere Tausend Dollar pro FarbnuanceMarketing und Distribution: bis zu 10 Dollar

Ohne die schwer zu kalkulierenden Kosten für Hauttests und behördliche Zulassungsverfahren mit einzurechnen, können also um die 18 Dollar pro Lippenstift zusammenkommen. Wobei sich diese Daten von Branchenfachmedien auf recht kleine bis moderate Volumina beziehen dürften, und natürlich ebenso wenig berücksichtigen, dass der LVMH-Konzern mit Dior, Guerlain oder Fenty Beauty reichlich Expertise besitzt und Kapazitäten nutzen kann. Eine im Luxusbusiness übliche Marge von mindestens dem Zehnfachen der Produktionskosten darf man ohnehin unterstellen, vermutlich liegt sie beim neuen Louis-Vuitton-Baby noch höher.

Dank des Einstiegs in die dekorative Kosmetik lässt sich die Kategorie „Kleinlederwaren“ bei Vuitton mit neuem, buntem Leben füllen
© Louis Vuitton

Reiche und Superreiche im Fokus

Diese klare Hinwendung zu den sehr Vermögenden bis Superreichen mag man jetzt als Notfallstrategie zur Kompensation des lahmenden Modeabsatzes bezeichnen, fehlende Bodenhaftung beklagen oder die sündhaft teuren roten Lippen moralisch verteufeln. Und, ja, es ist ein weiteres Indiz dafür, dass Luxusmarken auch mit den bisherigen Einstiegsprodukten harten Umsatz scheffeln wollen – und müssen. Waren das Parfum „No. 5“ von Chanel oder der Lippenstift von Dior früher das erschwingliche Entree für jene, die bis zur It-Bag oder dem Seidenkleid noch sparen oder auf Boni hoffen mussten, erhöhen die Konzernlenker nun schon seit Jahren diese niedrigere Einstiegsschwelle. 

Der 140-Euro-Lippenstift von Louis Vuitton ist dafür nicht der Auslöser, sondern allenfalls ein weiterer Höhepunkt. Die Aufregung um den hohen Preis ist deshalb übertrieben. Der Billighändler Shein hat – natürlich am anderen Ende der Preisliste – die Fast Fashion ja auch nicht erfunden, sondern bloß den Preiskampf nach unten beschleunigt. Die LVMH-Konkurrenz wird nun genauestens beobachten, ob damit die Schmerzgrenze selbst bei Vermögenden überschritten wird oder die Strahlkraft der Buchstaben „L“ und „V“ ausreicht, um diese Summen einzufahren.

Viele Jahre hielt sich der sogenannte Lippenstift-Index bei Prognosen über Abverkäufe in der Luxusindustrie. Jene Theorie, nach der in Krisenphasen zwar der Absatz von Handtaschen oder Mohairmänteln aus finanzieller Vorsicht zurückgeht, sich viele Menschen aber trotzdem für die Strapazen einer schwierigen Weltlage belohnen wollten: etwa mit teurer Pflegekosmetik und Lippenstiften. Je düsterer die Zeit, desto röter die Lippen. Das sei nach den Anschlägen in New York am 11. September 2001 so gewesen und auch viel früher bei der Wirtschaftskrise in den USA ab 1929. 

Der umstrittene „lipstick effect“ besagt, dass vor allem in Krisenzeiten die Lippen röter und Lippenstifte zu Bestsellern werden
© Louis Vuitton

Mascara und Nagellack

Könnten also auch die derzeit andauernden Kriege und die erratischen, folgenreichen Weichenstellungen im Weißen Haus einen „Run“ auf Make-up begünstigen? Jein. Denn das Szenario wiederholte sich weder in der Finanzkrise 2007/2008, noch während der Corona-Pandemie, wo weite Teile des Beauty-Marktes einbrachen. Allerdings trug die Maskenpflicht zu einem Wimperntusche-Boom in Nationen bei, deren Wirtschaft in die Rezession rutschte. In Asien, etwa in Japan und den Philippinen, kam zu dieser Zeit das Phänomen des „Nail Polish Index“ auf. Die Verkaufszahlen für Nagellack stiegen deutlich an. 

Sollte man bei Louis Vuitton also doch noch ein Rest-Herz für den Luxus-Einstieg haben, Mascara und Nagellack wären vermutlich lohnende nächste Erweiterungen des Angebotes.