Strafvollzug und Jugendhilfe: Wenn Mama inhaftiert ist – und das Kind bei ihr aufwächst

Wie ist es, als Kind zusammen mit der inhaftierten Mama groß zu werden? In NRW gibt es eine einzige solche Mutter-Kind-Einrichtung, in Einzelfällen offen für Straftäterinnen aus anderen Bundesländern.

Julia ist 29 Jahre alt, inhaftiert seit Mai und ihre vierjährige Tochter lebt bei ihr. Die beiden sind in einer Mutter-Kind-Einrichtung (MKE) im offenen Vollzug untergebracht, die dem Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen angegliedert ist. „Dass ich Tag für Tag mit meiner Tochter zusammen sein darf, bedeutet mir die Welt, das bedeutet mir alles“, sagt Julia, deren Haftstrafe bis Anfang 2027 dauert. 

Trennung von straffälligen Müttern zum Wohl der Kinder vermeiden 

In Fröndenberg im Kreis Unna am Rande des Ruhrgebiets gibt es die einzige Einrichtung dieser Art in NRW, in Einzelfällen steht sie auch Straftäterinnen aus anderen Bundesländern mit ihren Kleinkindern offen. Nach Frankfurt sei Fröndenberg vor 35 Jahren als zweite MKE deutschlandweit an den Start gegangen, schildert NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) bei einem Besuch. 

Trenne man Kinder von ihren straffälligen Müttern, könne das faktisch eine Bestrafung auch des Kindes und eine Doppelbestrafung der Mutter bedeuten, betont der Minister. Während der Inhaftierung würden Kinder in Fröndenberg altersgerecht gefördert, Müttern werde berufliche Qualifikation ermöglicht. Umfassende Betreuung und Hilfen dienten der Stabilisierung und Resozialisierung. Den Kindern werde „so etwas wie Normalität“ gegeben. 

Straffälligkeit bedeutet nicht, eine schlechte Mutter zu sein

„Die Einrichtung kann eine Brücke in ein straffreies Leben bedeuten“, erläutert die pädagogische Leiterin Renate Tertel. Seit 1990 seien 446 Frauen und 549 Kinder aufgenommen worden. Für viele sei der offene Vollzug im MKE eine „Heimat auf Zeit“. Es sei nicht immer einfach, die Alltagsgestaltung, die Arbeit der Frauen an ihrer Zukunft und den Weg in ihre Resozialisierung unter einen Hut zu bringen. 

In den 35 Jahren hätten 81 Frauen das Haus verlassen und in den geschlossenen Vollzug wechseln müssen. „Wir richten unsere Arbeit an den Kinderrechten aus“, berichtet Tertel. Drohe das Kindeswohl in Gefahr zu geraten, sei eine Fremdunterbringung des Nachwuchses geboten. Zugleich stellt sie klar: „Die Straffälligkeit einer Mutter bedeutet keinesfalls eine schlechte Mutter zu sein.“

Offenes Wohnhaus mit Spielplatz und möglichst viel Normalität 

Das dreistöckige Wohnhaus mit kleinen Einzelapartments, Gemeinschafts- und Spielräumen liegt innerhalb eines umzäunten Gartens. Es gibt einen Spielplatz. Jungen und Mädchen, einige noch im Windelalter, wuseln mit Laufrad oder Roller über das Gelände. Ein Schnullerkind sammelt Kastanien mit seiner Mutter. Die Schaukel ist gefragt. Nach Vollzugseinrichtung sieht hier nichts aus.

Julia erzählt, um 07.00 Uhr bringe sie ihre Tochter täglich außerhalb des Areals in eine benachbarte Kita. Danach arbeite sie im Justizvollzugskrankenhaus nebenan in der Kantine – eine Qualifikationsmaßnahme. „Den Nachmittag haben wir dann zusammen, das ist das Schönste.“ Drei Stunden Ausgang sind erlaubt, meistens geht es zu einem größeren Spielplatz. „Ich möchte hier ein besseres Ich werden, für mich selbst und für meine Tochter.“ 

Es gibt mehrere Bedingungen für eine Aufnahme

Auch sozialpädagogische Fachkräfte und Sozialarbeiterinnen begleiten die Inhaftierten, es gibt zahlreiche Kooperationen. „In Bezug auf die inhaftierten Frauen handelt es sich um eine Einrichtung des Strafvollzuges, in Bezug auf die Kinder ist es eine Einrichtung der Jugendhilfe“, sagt ein Sprecher des Justizministeriums. „Daraus ergeben sich auch doppelte rechtliche Voraussetzungen für die Aufnahme.“

Das Jugendamt muss feststellen, dass eine gemeinsame Unterbringung dem Kindeswohl entspricht. „Dieser Punkt ist am Ende immer ausschlaggebend“, betont der Ministeriumssprecher. Für die Frauen gilt: Es darf nicht zu befürchten sein, dass Fluchtgefahr besteht oder sie neue Straftaten begehen. Nur wenn ihr Entlassungszeitpunkt vor Schulpflichtbeginn des Kindes liegt, ist eine Aufnahme möglich, seit diesem Frühjahr auch für Schwangere. Es darf keine Sucht vorliegen. „Das begangene Delikt spielt bei der Aufnahme hingegen keine Rolle.“

„Für mich ist das hier kein Gefängnis“

Für eine 36-jährige Inhaftierte ist die MKE ein Zuhause geworden, wie sie schildert. Mit ihrem Sohn Manuel kam sie vor einem Jahr, der Kleine war gerade erst acht Wochen alt. Sie ist wegen Betrugs verurteilt worden. „Es gibt auch Regeln und es ist mir zuerst nicht immer leicht gefallen, sie einzuhalten.“ 

Dass die Interessen der Kinder an oberster Stelle stehen, findet sie genau richtig. „In meinen Augen ist das hier kein Gefängnis, sondern eine liebevolle Mutter-Kind-Einrichtung. Ich freue mich auf meine Entlassung und dass ich mit meiner Familie neu anfangen kann, natürlich straffrei.“