Judenfeindlichkeit: Neuer Höchststand: Antisemitismus „omnipräsent“ in Thüringen

Die Recherchestelle Rias dokumentierte antisemitische Vorfälle – und die nehmen stark zu. Alarmierend sei die Zunahme im Linken- und Hochschulmilieu, heißt es im Jahresbericht.

Die Anzahl antisemitischer Vorfälle in Thüringen ist auf einem Allzeithoch. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) hat im vergangenen Jahr 392 Fälle gezählt. 2023 waren es 297 gewesen. Das entspricht einem Anstieg um 31 Prozent. 

„Der Antisemitismus – und das erleben wir alle – ist auf den Straßen und noch viel alarmierender auch im Internet zu sehen, zu hören und bedroht jüdische Menschen ganz direkt“, sagte Thüringens Antisemitismusbeauftragter Michael Panse (CDU) bei der Vorstellung des Rias-Jahresberichts in Erfurt. 

Expertin: Antisemitismus in Thüringen „omnipräsent“

Thüringen verzeichne zum wiederholten Male die höchste Zahl antisemitischer Vorfälle aller ostdeutschen Bundesländer ohne Berlin. Darin enthalten sind 54 Fälle schwerer Sachbeschädigung sowie sieben Fälle von Bedrohung und zwei Angriffe. „Antisemitismus war und ist kein Randphänomen. Er war 2024 in Thüringen omnipräsent. Er trat in allen gesellschaftlichen Gruppierungen und politischen Spektren auf“, sagte die Leiterin von Rias in Thüringen, Susanne Zielinski.

Bereits 2023 hatte die Meldestelle eine deutliche Zunahme an israelbezogenem Antisemitismus registriert. Dieser Trend hat sich fortgesetzt: Im aktuellen Berichtszeitraum 2024 macht der israelbezogene Antisemitismus die Hälfte aller dokumentierten Fälle aus. Mit 197 solcher Vorfälle hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt (2023: 103). 

Der Krieg in Nahost wirke in diesem Zusammenhang „wie ein Brandbeschleuniger“, heißt es dazu im Bericht. Unter israelbezogenem Antisemitismus versteht Rias Aussagen, die sich gegen den jüdischen Staat Israel richten, etwa indem diesem die Legitimität abgesprochen wird. 

Jeder achte Vorfall an Hochschulen

„Extrem alarmierend“ sei dabei vor allem die Zunahme antisemitischer Vorfälle im Linken- und Hochschulmilieu, besonders im Zusammenhang mit studentischen Hochschulgruppen, aber vereinzelt auch durch Mitarbeiter von Hochschulen. Jeder achte Vorfall habe sich in diesem Bereich ereignet, so Zielinski. 

Die Debatte über den Nahost-Krieg habe Raum für antisemitische Äußerungen geschaffen, die nicht mit berechtigter Kritik am Vorgehen Israels verwechselt werden dürften, sagte Zielinski der Deutschen Presse-Agentur. 

Im Juni hatten die Hochschule Nordhausen und die Friedrich-Schiller-Universität Jena Antisemitismusbeauftragte benannt. Die FSU hatte erklärt, damit auch auf die Verschärfung der gesellschaftlichen Stimmung nach dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 zu reagieren.

SPD-Politikerin Marx: Konsequente Verfolgung durch Justiz

Die Zahlen seien beschämend, sagte der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Andreas Bühl. Berechtigte Kritik an der israelischen Regierung dürfe niemals zu Hass gegen Juden und den Staat Israel an sich führen. Der grassierende Antisemitismus müsse entschieden bekämpft werden – „egal ob er von rechts, von links oder aus islamistischen Milieus kommt“. 

Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Dorothea Marx, nannte die im Bericht dokumentierten Sachbeschädigungen etwa von Gedenkorten und Stolpersteinen einen „Angriff auf die Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens“. Entscheidend sei, dass antisemitische Straftaten konsequent durch die Justiz verfolgt würden. Dies setze das notwendige Signal an Täter und Opfer.

Von einer gefährlichen Zunahme antisemitischer Vorfälle im Hochschul-Kontext sprach Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Linken im Thüringer Landtag. „Dass Antisemitismus gerade dort, wo Wissenschaft, Lehre und Vielfalt zu Hause sein sollten, derart offen zutage tritt, ist beschämend und gefährlich.“ Es brauche mehr Aufklärung und Bildung zu der Frage, wo eine kritische Perspektive ende und wo Ressentiments und Vorurteile anfingen, forderte König-Preuss.

Die Leiterin der Rias-Meldestelle, Susanne Zielinski, plädiert angesichts der im Bericht vorgestellten Zahlen für „massive Interventionen durch Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen“. Der Antisemitismusbeauftragte Michael Panse sagte, der Bericht sei eine Aufforderung an Politik und Gesellschaft zu einem entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus. Konkret regte der Beauftragte Bildungsprogramme an Schulen und Universitäten, im Erwachsenen- und Jugendbildungsbereich sowie in Behörden an.

Die Meldestelle Rias erfasst und dokumentiert seit 2021 antisemitische Vorfälle und nimmt dabei nicht nur Vorfälle auf, die strafbar sind, sondern auch solche unterhalb dieser Schwelle. Träger der Dokumentationsstelle ist die Amadeu Antonio Stiftung, gefördert wird sie von der Staatskanzlei.