Immer mehr Menschen möchten sich auf Geschlechtskrankheiten testen lassen. Beratungsstellen berichten von einer steigenden Nachfrage. Zugleich ist das Thema sexuelle Gesundheit oft noch ein Tabu.
Viele Geschlechtskrankheiten verlaufen oft beschwerdefrei. Dennoch können sie ansteckend sein und zu schwerwiegenden Komplikationen führen. In Hessen ist die Zahl der gemeldeten Fälle von Syphilis und Gonorrhoe nach Angaben des hessischen Gesundheitsministeriums gestiegen. Um über sexuell übertragbare Infektionen aufzuklären und Präventionsangebote auszubauen, engagiert sich die Landesregierung laut dem Ministerium in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der hessischen Aids-Hilfe und weiteren Akteuren.
Ein besonderer Fokus liegt demnach auch auf der Prävention von Infektionen mit dem humanen Papillomavirus (HPV). „Einige HPV-Typen sind sexuell übertragbar und können zu Genitalwarzen oder Krebs führen, insbesondere Gebärmutterhalskrebs bei Frauen„, erklärt das Ministerium. Jedes Jahr erkrankten in Deutschland mehr als 9.000 Menschen an Krebs, der durch HPV verursacht worden sei. Die Krebserkrankung könne bis zu 30 Jahre nach der Infektion auftreten.
Impfung als Schutz gegen HPV
Die effektivste Maßnahme gegen HPV-Infektionen sei die Schutzimpfung. Die Ständige Impfkommission empfehle die Standardimpfung für alle Mädchen und Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren. „Eine verpasste Immunisierung sollte bis zum Alter von 17 Jahren nachgeholt werden“, erläutert das Ministerium.
„Mit der frühzeitigen Impfung gegen HPV kann die Gesundheit von Mädchen und Jungen geschützt und eine gefährliche Krebserkrankung nachhaltig verhindert werden“, betont die hessische Gesundheitsministerin Diana Stolz. „Mir ist es wichtig, diese Impfung bekannter zu machen“, so die CDU-Politikerin.
Sprechstunde für sexuelle Gesundheit in Kassel
„Unser wichtigstes Anliegen ist es, ein Bewusstsein zu schaffen und aufzuklären“, sagt auch die Leiterin des Kasseler Gesundheitsamtes Britta Röper. Die Behörde bietet eine kostenlose Sprechstunde für sexuelle Gesundheit an. „Die meisten Menschen melden sich bei uns in der Regel nicht nur, um sich beraten, sondern sich auch direkt testen zu lassen“, berichtet die Ärztin Pia Schleichert.
Die Mehrheit der Besucher hätten keine Symptome. „Aber sie hatten in der Vergangenheit Risikokontakte, also ungeschützten Sex – und das nicht zwangsläufig in einer festen Beziehung.“ Viele Infektionen verliefen beschwerdefrei und blieben in der Folge unbemerkt und unbehandelt. „So können sie leichter weitergegeben werden“, warnt Schleichert. Grundsätzlich seien viele Infektionen gut behandelbar. „Sie müssen nur entdeckt werden. Dazu muss man testen.“
Die Sprechstunde in Kassel steht laut Schleichert allen Menschen aus der Region offen – unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Besonders häufig werde das Angebot von 20- bis 35-Jährigen wahrgenommen. „Aber es kommen auch 75-Jährige zu uns.“ Der Anteil an Frauen und Männern sei dabei ungefähr ausgeglichen. „Auch Paare kommen, gerade zu Beginn einer Beziehung. Das finde ich absolut vorbildlich“, betont die Ärztin.
Anonymität und Vertraulichkeit
Das anonyme, vertrauliche Setting sei für viele Besucher wichtig. Sie könnten sich zur Terminsprechstunde persönlich, telefonisch oder per E-Mail mit Pseudonym anmelden. „Wir fragen nicht nach dem echten Namen oder der Versichertenkarte.“
Anders als die Beratung sind die Tests in der Regel nicht kostenlos. Für Schüler, Studierende, Auszubildende sowie Bürgergeld- und Sozialhilfeempfänger gibt es in der Sprechstunde allerdings einen kostenfreien HIV-Test. Neu eingeführt hat das Gesundheitsamt Abstrichtests für Chlamydien und Tripper. Das sei unter anderem eine Reaktion auf die Entwicklung der Infektionszahlen, erläutert Schleichert. So gehörten Chlamydien zu den häufigsten sexuell übertragbaren Erkrankungen. „Schätzungsweise 300.000 Neuinfektionen gibt es jährlich in Deutschland.“
Besucher schämen sich oftmals
„Nach wie vor ist das Thema sexuelle Gesundheit sehr schambesetzt“, sagt Schleichert. Gerade beim ersten Mal koste es die Besucher Überwindung, sich zu öffnen und über Sexualität zu sprechen. „Manchmal sind wir die erste Person, der sie sich öffnen – zum Beispiel nach einem Seitensprung.“ Egal unter welchen Umständen, es sei gut, dass die Menschen kämen und sich testen ließen, betont sie. „Das ist ein Schritt, Verantwortung zu übernehmen für sich selbst und den Partner oder die Partnerin.“
„Wenn die erste Scham abgelegt und die Erfahrung gemacht wurde, dass offen geredet werden kann und wir nichts bewerten, dann kommen die Menschen wieder. Der Bedarf ist da“, sagt Schleichert. Dafür sprechen auch die steigenden Besucherzahlen. 2023 führte das Gesundheitsamt nach eigenen Angaben 70 Beratungen durch, 2024 waren es 167 Beratungen und im laufenden Jahr waren es bis Ende Juli bereits 162 Beratungen.
Aids-Hilfen sind gut ausgelastet
Auch die Angebote der hessischen Aids-Hilfen seien gut ausgelastet, berichtet Jonas Müller von der Aids-Hilfe Hessen. Hervorzuheben sei vor allem die starke Nutzung der HIV-Testangebote. „Durch das Gewährleisten von Anonymität und einer unkomplizierten Abwicklung stellen diese nach wie vor eine wichtige Anlaufstelle für entsprechende Tests dar.“
Eine mögliche Versorgungslücke bestehe in der finanziellen Hürde des Testangebots, das in aller Regel kostenpflichtig sei. „Nicht alle Menschen, für die solche Tests relevant wären, verfügen über das Geld, sie auch zu nutzen“, sagt Müller.
Schlechtere Versorgung auf dem Land
Die Erfahrung zeige, dass die Versorgung mit niedrigschwelligen Testangeboten besonders im ländlichen Raum schwierig sein könne, schildert er. Abhilfe schaffen könnten etwa Angebote wie das „Checkmobil“ der Aids-Hilfe Schleswig-Holstein. Sie böten mobile Hepatitis-C- und HIV-Tests an. So könnten auch strukturschwache Gebiete erreicht werden. Allerdings seien solche Projekte natürlich kostspielig und müssten mit entsprechenden Geldern versorgt sein.
Die medizinische Versorgungslage bei HIV und Aids sei stark standortabhängig, sagt Müller. Da sich HIV-Schwerpunktärztinnen und -ärzte vor allem im städtischen Raum fänden, müssten Menschen in ländlichen Gebieten oft weite Strecken auf sich nehmen. Allgemein gebe es einen Mangel an HIV-Schwerpunktärzten.
Aufklärungsbedarf sehe die Aids-Hilfe Hessen besonders im medizinischen Bereich. „Das Einhalten von Basishygienemaßnahmen ist hier ausreichend und es sind keine besonderen Vorkehrungen vonnöten, um HIV-Übertragungen vorzubeugen“, betont Müller. Trotzdem bestünden beim medizinischen Personal oftmals enorme Ängste im Umgang mit HIV-Patientinnen und Patienten. „Diesem Umstand ist es geschuldet, dass anderweitig alltägliche Vorgänge im gesundheitlichen Bereich – etwa ein Besuch beim Zahnarzt – für Menschen, die mit HIV leben, zu einer großen Belastung werden können, da sie dort noch viel zu oft eine Sonderbehandlung erfahren.“
Aufklärung in der Altenpflege vonnöten
Ähnlich verhalte es sich in der Altenpflege, wo der Aufklärung eine besondere Relevanz zukomme. „Dank des medizinischen Fortschritts der letzten Jahrzehnte hat sich die Lebenserwartung von Menschen, die mit HIV leben, drastisch verbessert“, erklärt Müller. Das bedeute aber auch, dass diese immer stärker in Altenpflegeeinrichtungen vertreten seien, deren Personal häufig nicht ausreichend zu HIV und Aids sowie den Lebensrealitäten queerer oder auch Drogen konsumierender Menschen geschult sei. „Infolgedessen drohen auch hier Ausgrenzung und mangelndes Verständnis.“
Unwissen über HIV und Aids und die damit einhergehenden Vorurteile führten zudem zu vermeidbaren Problemen im Behandlungszimmer. So sei die Scheu mancher Ärzte, ihren Patienten bei Verdacht einen HIV-Test vorzuschlagen, eine typische Ursache für Spätdiagnosen. „Besonders bei Frauen aus der Allgemeinbevölkerung wird oftmals viel zu spät an HIV gedacht, zumal die Wahrnehmung von HIV vor allem durch die Hauptbetroffenengruppe geprägt ist“, berichtet Müller.