Ein ehemaliger Mitarbeiter der Stadt Kassel soll Führerscheine an Personen verkauft haben, obwohl sie keine Prüfung abgelegt hatten. Ein mutmaßlicher Komplize muss sich nun vor Gericht verantworten.
Es geht um Führerscheinbetrug im großen Stil: Seit heute muss sich vor dem Landgericht Kassel ein 35-Jähriger unter anderem wegen besonders schwerer Bestechung in 47 Fällen und Anstiftung zur Falschbeurkundung in 44 Fällen verantworten. Er soll mit illegalen Führerscheinen rund 159.000 Euro ergaunert haben.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm insgesamt 92 Taten vor. Sie stehen laut den Ermittlern im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der Fahrerlaubnisstelle der Stadt Kassel. Der heute 26-Jährige soll für mindestens 112 Personen gegen Geldzahlungen Führerscheine ausgegeben haben, obwohl diese keine Führerscheinprüfung abgelegt hatten.
Bande baute Vertriebsnetz auf
Die Ermittler verdächtigen den 26-Jährigen, weitere Personen in sein illegales Geschäftsmodell integriert zu haben. Ziel sei dabei gewesen, die Abläufe gewinnbringend zu organisieren und eine Art Vertriebsnetz aufzubauen. Eine dieser Personen soll der 35 Jahre alte Angeklagte sein. Er wird verdächtigt, innerhalb der vierköpfigen Bande von Mai 2018 bis Dezember 2021 einen Teil der Organisation des Vertriebs übernommen zu haben.
So soll er laut der 124-seitigen Anklageschrift unter anderem potenzielle Abnehmer gesucht und kontaktiert haben. Anschließend soll er die zum Ausstellen des Führerscheins erforderlichen Unterlagen der Kunden an den ehemaligen Mitarbeiter der Führerscheinstelle weitergeleitet haben. Nachdem der 26-Jährige Passbild, Sehtest, Erste-Hilfe-Bescheinigung und Unterschrift erhalten hatte, legte er der Staatsanwaltschaft zufolge einen Bearbeitungsvorgang an, um den Druck des Führerscheins bei der Bundesdruckerei in Auftrag geben zu können.
Angeklagter seit Februar in Untersuchungshaft
Dem Angeklagten, der sich seit Februar in Untersuchungshaft befindet, wirft die Staatsanwaltschaft vor, ein Vertriebsnetz vor allem über Shishabars, Restaurants und Friseurläden als Anlaufstellen aufgebaut zu haben. „Ihm kam dabei eine entscheidende Rolle zu“, sagte der Staatsanwalt während der mit Unterbrechungen rund dreistündigen Verlesung der Anklage. Insbesondere er habe dieses Netz erheblich ausgebaut.
Er sei bewusst auf Betreiber und Mitarbeiter der Läden zugegangen, um sie als Anlaufstelle für Interessenten nutzen zu können. Als Kunden soll er vor allem nach Deutschland Geflüchtete in Betracht gezogen haben. Zudem soll der 35-Jährige auch weitere Personen angeworben haben, um die illegalen Führerscheine zu vermitteln.
Der Angeklagte habe „gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande“ gehandelt, „um sich eine Einnahmequelle von gewissem Umfang und gewisser Dauer zu beschaffen“, sagte der Staatsanwalt. Die Einnahmen seien innerhalb der Bande aufgeteilt worden. Der Beschuldigte habe dabei regelmäßig einen mutmaßlichen Komplizen umgangen, um dessen Anteil selbst einzustreichen.
Beschuldigter soll rund 159.000 Euro eingenommen haben
Pro Führerschein soll die Gruppe demnach zwischen 2.000 und 7.500 Euro eingenommen haben. Die Courtage für die eingesetzten Vermittler sei unterschiedlich ausgefallen, dürfte aber in der Regel nicht unter 400 Euro pro vermitteltem Führerschein gelegen haben, hieß es. Der Angeklagte soll so rund 159.000 Euro eingenommen haben. Zunächst war von 161.000 Euro die Rede gewesen.
Dem 35-Jährigen wird zudem vorgeworfen, nach einer Durchsuchung seiner Wohnung auf dem Polizeipräsidium Gespräche mit Polizeibeamten per Diktiergerät unbemerkt und ohne Einverständnis aufgenommen zu haben. Er muss sich deshalb auch wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes verantworten.
Der Verteidiger des Angeklagten verlas zum Prozessauftakt eine Erklärung, in der er einen Großteil der Vorwürfe einräumte. Er bestritt aber unter anderem, dass sein Mandant Geld an anderen Beschuldigten vorbei abgezweigt habe.
Verfahren gegen Mitarbeiter der Stadt Kassel beginnt bald
Das Landgericht hat zunächst 15 weitere Verhandlungstermine anberaumt. Ein Urteil könnte demnach Ende Oktober fallen. Der Prozess gegen den 35-Jährigen ist Teil einer umfassenden juristischen Aufarbeitung des Betrugs. Das Verfahren gegen den ehemaligen Mitarbeiter der Fahrerlaubnisstelle wird gesondert geführt. Laut Staatsanwaltschaft soll es voraussichtlich am 20. August starten. Dem 26-Jährigen werden Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall sowie Falschbeurkundung im Amt zur Last gelegt.
Zahlreiche Abnehmer der illegalen Führerscheine sowie ein anderes Mitglied der Bande wurden bereits unter anderem zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Ein mutmaßlicher vierter Komplize kam 2019 bei einem Motorradunfall ums Leben.