Deutschland will bei der Energieversorgung unabhängiger werden und dafür mehr eigene Gasfelder anzapfen. Umweltschützer sind alarmiert. Zu Recht? Ein Blick auf die Reserven.
Es steht im Koalitionsvertrag, und kürzlich hat es Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) noch einmal bekräftigt: Die schwarz-rote Regierung will stärker heimisches Gas fördern. Seine fossile Abhängigkeit wird Deutschland, das zu den Top Ten der weltweiten Gasimporteure zählt und 95 Prozent seines Verbrauchs unter anderem in Nordwegen, den Niederlanden, den USA und Belgien einkaufen muss, damit nicht beenden.
Widersprüchlich erscheinen die Pläne auch vor dem Hintergrund, dass Deutschland eine grüne Zukunft anstrebt und spätestens im Jahr 2050 klimaneutral sein will. Wie passt das zusammen, und wo kann Deutschland überhaupt noch bohren?
Energiesicherheit schlägt Klimaschutz?
Die Geschichte der deutschen Gasförderung ist über 70 Jahre alt – die der Ölförderung noch deutlich älter. Schätzungsweise 21 Milliarden Kubikmeter Öl liegen unter der Bundesrepublik, beim Erdgas ist es noch einmal erheblich mehr. Allein: Zur Selbstversorgung reicht das nicht: Die Fördermengen an Öl und Gas decken gerade einmal etwa zwei beziehungsweise fünf Prozent des bundesweiten Bedarfs.
In der Gasprovinz Niedersachsen lagern etwa 99 Prozent der deutschen Gasreserven. Geologen gehen davon aus, dass sich im gesamten Bundesgebiet weitere Reserven befinden, aber Beweise dafür fehlen, außerdem ist unklar, ob das Gas überhaupt gefördert werden könnte.
Viel verspricht sich die Bundesregierung gerade von dem Gasfeld N05-A, das sich sowohl auf deutschem als auch auf niederländischem Hoheitsgebiet vor der Küste Borkums erstreckt. Das niederländische Unternehmen One Dya schätzt, dass es dort zwischen 4,5 und 13 Milliarden Kubikmeter Gas schöpfen kann. Anfang Juli unterzeichnete die Bundesregierung ein Abkommen mit dem Nachbarland – die Lizenz zum Bohren.
Wenig später stieß der kanadische Konzern Central European Petroleaum (CEP) in der Ostsee auf ein fossiles Feld. Wollin East soll 22 Millionen Tonnen Öl und fünf Milliarden Kubikmeter Gas umfassen. Ein Großteil davon liegt vor der Küste Polens, ein kleiner Teil auch auf deutschem Gebiet. Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister forderte allerdings umgehend, dass die deutschen Ölreserven nicht gefördert werden. Auch die Bundesregierung äußerte sich zurückhaltend – zur Freude von Klima- und Umweltschützern.
An fossilen Förderprojekten entzünden sich immer wieder Konflikte. Umweltverbände klagen bereits gegen die abgesegneten Bohrungen im Naturschutzpark Wattenmeer. In Bayern protestieren Greenpeace-Aktivisten derzeit gegen eine umstrittene Erdgasbohrung in der Nähe des Ammersees und verweisen auf das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, der alle Staaten dazu verpflichtet, ihr Möglichstes zu tun, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen.
Auch aus klimawissenschaftlicher Sicht sind neue Fördervorhaben fragwürdig. Das Wissen, das bei neuen Gasförderprojekten generiert wird, könnte weitere Bohrprojekte wirtschaftlich attraktiv und rentabel macht – zulasten der Klimaziele.
Gaskonsum in Deutschland geht zurück
Aufhalten werden Umweltschützer die Gaspläne der Bundesregierung sehr wahrscheinlich nicht. Stand jetzt dürfte die fossile Ressourcenförderung in Deutschland aber ein Geschäft auf Zeit bleiben. Die bisher sicheren und wahrscheinlichen Reserven sind rückläufig, und dürften noch für acht Jahre reichen, weil die Gas- und Ölfelder in Deutschland zunehmend erschöpft sind und mehr Bohrungen beendet als neu ausgewiesen werden, heißt es im Jahresbericht vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Niedersachsen.
Grund dafür sind auch verschärfte Genehmigungsverfahren und strenge Umweltschutzauflagen. Der Energiekonzern Wintershall Dea beispielsweise hat vor Jahren in Schleswig-Holstein einen Antrag gestellt, um neu entdeckte Gasreserven fördern zu können. Auf die Genehmigung wartet das Unternehmen bis heute.
Daneben sinkt auch die Nachfrage nach Öl und Gas in Deutschland. Die Tendenz zeichnet sich kaum merklich seit ungefähr 20 Jahren ab, dürfte sich aber vor dem Hintergrund der angestrebten Energiewende auf dem Weg Richtung Klimaneutralität bis 2050 deutlich verstärken.
Der Pfad in eine grüne Zukunft ist längst beschritten und unumkehrbar, das ist unter Klimawissenschaftlern und Ökonomen unstrittig. Das bestätigt der enorme Boom grüner Technologien in China, das sich gerade zum Marktführer mausert. Das bestätigt der Zustrom grüner Jobs. Und das bestätigt der Blick auf die deutsche Stromversorgung, die seit 2023 erstmals überwiegend mit Windkraft und Solaranlagen betrieben wird.
Auch ein Sprecher des Umweltministeriums wies kürzlich darauf hin, „dass sich das Geschäft mit fossilen Brennstoffen in den nächsten Jahren immer weniger lohnen wird“ – nicht nur wegen des Angebots. „Alle Investoren in fossile Infrastrukturen müssen wissen: Die Förderung von Öl und Gas ist ein Geschäft mit einem klaren Ende und durch die Klimaneutralität der EU auf 2050 beschränkt.“
Das weiß auch die Bundesregierung. Nur lässt sich die Energiewende nicht von heute auf morgen umsetzen. Auch wenn der Anteil erneuerbarer Energien stetig steigt, ist Deutschland noch auf fossile Energieträger angewiesen. Und Erdgas, so betonen das Merz-Kabinett, Wirtschaftsministerin Reiche und die fossile Lobby, sei verglichen mit Kohle und Öl der klimafreundlichste aller fossilen Energieträger – vor allem, wenn es in Deutschland gefördert anstatt importiert wird. Emissionsfrei ist aber auch das heimische Gas nicht.