Gegenwartskunst: Kunst im Kohlekraftwerk: Festival lockt Tausende Besucher

Alljährlich erweckt das Festival „Begehungen“ verlassene Orte mit Kunst zu neuem Leben. Im Kulturhauptstadtjahr ist die Dimension größer als bisher: Schauplatz ist ein stillgelegtes Kohlekraftwerk.

Kunst statt Kohle: Jahrzehntelang war das Heizkraftwerk Nord in Chemnitz die größte CO2-Schleuder der Region. Hier wurde Braunkohle für Fernwärme und Strom verfeuert. Seit Anfang 2024 ist damit Schluss. Im Kulturhauptstadtjahr ist die Anlage nun imposante Kulisse für ein Kunstfestival, das alljährlich verwaiste Orte mit Gegenwartskunst neu belebt. Mit ihrer aktuellen Schau im stillgelegten Kraftwerk treffen die Festivalmacher offensichtlich einen Nerv: Rund 8.500 Besucher kamen in der ersten Woche. 

Dort, wo einst Unmengen klimaschädliches CO2 in die Luft geblasen wurde, setzen sich internationale Künstler mit Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur auseinander. Dazu hat Hito Steyerl in einem der ehemaligen Wassertanks eine LED-Wand aus Bierkästen samt Flaschen und lebenden Pflanzen aufgebaut. Aus bioelektrischen Signalen der Pflanzen werden Bild- und Toninhalte generiert. Katharina Sauermann hat den Schadstoff Feinstaub auf ihre Bilder gebannt und schafft so atmosphärische Landschaften, die Umweltverschmutzung dokumentieren und sinnlich erfahrbar machen.

Imposanter Kühlturm als Klangraum

Der Japaner Rikuo Ueda macht derweil die Natur selbst zum Künstler: An einem Stahlgerüst hat er eine Apparatur gebaut, die durch Wind in Bewegung gesetzt wird und Leinwände bemalt. Nebenan nutzen die Musiker Valeria Zane und Victor Nebbiolo di Castri den einstigen Kühlturm des Kraftwerks als Klangraum ihrer Installation „Aural Dissipation“. Dabei werden ausgehend vom Klang einer Harfe verschiedene Zustände von Wasser klanglich interpretiert. 

Die Künstlerin Lara Almarcegui aus den Niederlanden hat alte Asphaltbrocken von Straßen zu einer monumentalen Skulptur über Ressourcenverbrauch und Flächenversiegelung aufgehäuft, während das deutsch-rumänische Künstlerduo Matthias Böhler und Christian Orendt mit einem Zeltcamp das Artensterben aufgreift. In den begehbaren Zelten erscheinen ausgestorbene Tiere wie der Honshu-Wolf und der Jangtse-Delfin geisterhaft auf einem Nebelschleier.

Festival im Kulturhauptstadtjahr in neuer Dimension 

Die diesjährigen „Begehungen“ zeigen unter dem Titel „Everything is Interaction“ (Alles ist Wechselwirkung) Installationen, Fotografien, Zeichnungen und Skulpturen von mehr als 30 Künstlern und Künstler-Gruppen. Dabei werden auch konkrete Bezüge zur Region Mitteldeutschland hergestellt. So werden in einer Videoinstallation historische Fotografien von Tina Bara gezeigt, die sie 1988 im Chemiekombinat Buna im heutigen Sachsen-Anhalt aufgenommen hat. Ana Alenso aus Venezuela verwendet für ihre Arbeit „Pech und Blende“ zwei Bohrhämmer aus dem früheren Uranbergbau im Erzgebirge und schlägt einen Bogen zum globalen Rohstoffhunger samt geopolitischer Konflikte.

Seit 2003 verwandeln die „Begehungen“ alljährlich leerstehende Objekte in temporäre Galerien für zeitgenössische Kunst. Schauplätze waren schon ein ehemaliges Gefängnis, ein brachliegendes Schwimmbad, ein alter Bahnhof und ein verwaistes Schlosspalais. Dieses Jahr erstreckt sich das Areal über drei große Hallen und weitere technische Anlagen auf dem Kraftwerksgelände. Damit fällt das Festival deutlich größer aus als bisher, weil Chemnitz 2025 als Kulturhauptstadt Europas besonders im Interesse der Kulturwelt steht. Die Kunstschau läuft noch bis zum 17. August.

Kunstfestival „Begehungen“