Tourismusentwicklung: Zu viele Urlauber? Wie die Nordseeküste die Balance sucht

An Niedersachsens Nordseeküste stören sich manche an zu vielen Urlaubsgästen. Touristiker nehmen die Sorgen von Einwohnern ernst. Eine neue Studie legt dazu Daten vor – und gibt Lösungsvorschläge.

Volle Strände, lange Warteschlangen im Supermarkt oder ausgebuchte Restaurants – wer im Sommer für den Urlaub an die niedersächsische Nordseeküste reist, bekommt mitunter den Eindruck: ganz schön viel los. Auch manche Einheimische fühlen sich angesichts vieler Urlauberinnen und Urlauber in besonders beliebten Ferienorten überlastet oder gar gestört – ein Phänomen, das bislang eher von Mallorca oder aus Venedig bekannt ist. Eine neue Studie zeigt nun aber, die Tourismusakzeptanz an der niedersächsischen Küste ist trotz hoher Gästezahlen mehr als vorhanden. 

„Die Tourismusakzeptanz ist tatsächlich nicht nur in Venedig und auf Mallorca ein Thema, sondern überall“, sagt Mario Schiefelbein, Geschäftsführer der Tourismus-Agentur Nordsee (Tano). „Unsere Region trifft es auch mal mehr und mal weniger.“ Die Agentur vermarktet die niedersächsische Nordseeküste von der Ems bis zur Elbe samt der Ostfriesischen Inseln. 

Was die Studie zeigt

Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Tourismusforschung an der FH Westküste haben repräsentativ untersucht, wie es um die Tourismusakzeptanz an den Küsten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein steht. Bislang gebe es für Niedersachsen keine vergleichbare Untersuchung, sagt Schiefelbein. 

Das Ergebnis: Die niedersächsische Küstenbevölkerung steht dem Tourismus überwiegend positiv gegenüber – auch wenn an einigen Orten Ballungen wahrgenommen werden. Wenn man auf die gesamte Region schaue, gebe es demnach kein Akzeptanzproblem, sagt der Tano-Chef. „Da sind wir im grünen Bereich. Es gibt natürlich vereinzelte Hotspots und die sind auch nicht so neu.“ Beliebte Urlaubsorte, wie beispielsweise Greetsiel in Ostfriesland, seien besonders nachgefragt. Auch die Inseln seien im Sommer stark frequentiert. 

Eine Mehrheit der Einwohner erkennt der Studie zufolge an, dass der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Dass der Tourismus auch zum Wohlbefinden der Einwohnerinnen und Einwohner beitrage, dem stimmt jedoch weniger als die Hälfte zu (45 Prozent). Etwa ein Drittel der Befragten antwortete neutral. 

Unterm Strich halten etwa sechs von zehn befragte Einwohner die Zahl der Touristen an der Küste für genau die richtige Menge (59 Prozent), ein Viertel (25 Prozent) empfindet sie als zu gering. Weitere 10 Prozent empfinden die Zahl als zu hoch. 

Wie viele Touristen aktuell kommen

Niedersachsens Nordseeküste verbuchte im vergangenen Jahr 8,2 Millionen Übernachtungen und zählte damit zu den wichtigsten Urlaubsregionen des Landes. An die Top-Werte aus den Jahren vor der Corona-Pandemie reichten die Zahlen noch nicht heran. Und auch bei den Gesamtmarktanteilen lag die niedersächsische Küste gemessen an den Übernachtungen im Vergleich zu den Küsten Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins zuletzt zurück. 

Braucht es also eher mehr Urlauberinnen und Urlauber an der Nordseeküste? Nein, sagt Tano-Chef Schiefelbein. Lange Zeit habe im Vordergrund gestanden, mehr Gäste an die Küste zu holen. Heute gehe es um Qualität. „Wir als Tano möchten, dass die Wertschöpfung durch den Tourismus größer wird – nicht, dass die Quantität des Tourismus zunimmt.“ Dafür müssten Zielgruppen und Angebote aufeinander abgestimmt werden, sagt der Manager. 

Ein Beispiel sei, sagt Schiefelbein, die Nebensaison breiter aufzustellen. In den Sommerferien kämen vor allem Familien mit Kindern an die Nordsee, außerhalb dieser Zeit gebe es noch andere Zielgruppen. In der Studie seien etwa Gäste mit Hund eher als „zu viel“ eingestuft worden. „Ich denke, das wäre eine klasse Zielgruppe gerade für die Nebensaison“, sagt Schiefelbein. 

Wo der Tourismusverband eine Lösung sieht 

Auch der Vorsitzende des Tourismusverbandes Niedersachsen (TVN), Holger Heymann, setzt auf mehr Wertschöpfung durch höhere Standards statt mehr Gäste. „Es gibt sicherlich Momente, individuell, regional unterschiedlich, da wird es mancherorts echt voll. Zum Beispiel bei bestimmten Veranstaltungen.“ 

Einen Lösungsansatz sieht Heymann, der auch Landrat von Wittmund in Ostfriesland ist, in mehr Digitalisierung zum Beispiel durch eine digitale Gästecard, mit der Urlauber vom Strandkorb bis zum Restaurantbesuch alles buchen können. Bei der Besucherlenkung könne Künstlicher Intelligenz helfen. „Dabei darf es nicht darum gehen, mehr Gäste zu bekommen, sondern darum, die Aufenthaltsqualität zu steigern“, sagt der TVN-Chef.

Und: Von touristischer Infrastruktur, einem Museum oder einem Schwimmbad, profitierten auch Einwohnerinnen und Einwohner einer Urlaubsregion dauerhaft, betont Heymann. Aber weder Kommunen noch Region und Land hätten das bislang so richtig auf dem Schirm. „Wir müssen ins Bewusstsein bekommen, dass Unternehmen, Gäste und Einheimische gleichsam etwas vom Tourismus haben. Wenn das gelingt, werden wir auch immer Akzeptanz bekommen.“

Was eine Gemeinde in Ostfriesland untersuchte

Die vorteilhaften Effekte von Tourismus zu sehen und zu fördern, dafür plädieren auch Tourismusforscher. Viele dächten beim Tourismus vor allem an Hotellerie und Gastgewerbe, sagte Enno Schmoll, Professor für Tourismusentwicklung an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven im Winter bei einer Diskussionsrunde in Greetsiel. Die Gemeinde Krummhörn, zu der der Urlaubsort gehört, hatte 2024 eine eigene Studie zur Tourismusakzeptanz erheben lassen und die Ergebnisse danach mit Einwohnern diskutiert. 

Am Tourismus hingen weitere Branchen, machte Schmoll deutlich: Handwerker, die die Ferienhäuser reparierten, Bäcker, die Touristen und Einheimische mit Backwaren versorgten. „Es gibt viele Dinge, die man sich nicht so bewusst macht, die durch den Tourismus positiv aber trotzdem da sind.“ Gerade in ländlichen Regionen hätten Touristenorte damit auch einen Standortvorteil.

An der nicht repräsentativen Befragung nahmen in der Gemeinde Krummhörn fast 800 Haushalte teil. Die übergroße Mehrheit der Befragten (94,2 Prozent) erklärte, gern in ihrer Gemeinde zu leben. Zeitgleich gaben aber auch rund 60 Prozent der Befragten an, dass die Menge der Touristen in der Gemeinde zu hoch oder eher zu hoch sei. Etwa ein Drittel hielt die Zahl für passend. Vor allem in den Sommermonaten fühlten sich Einwohner durch zu viele Gäste gestört. 

Welche weiteren Lösungsansätze es gibt

Touristenzahlen ließen sich nicht wie Licht dimmen, sagte Schmoll. Greetsiel etwa sei nun mal ein malerischer Ort, den viele Urlauber sehen wollten. Es gebe aber Steuerungsmöglichkeiten, erklärte der Forscher und verwies etwa auf die Möglichkeit, Parkraum zu verringern, um Tagestourismus zu steuern.

Ein Ergebnis der Akzeptanzstudien sowohl in Greetsiel als auch für die gesamte Küste ist der Wunsch nach Kommunikation und Transparenz. Etwa dreiviertel der Befragten in der nordseeweiten Studie wünschen sich mehr Informationen über touristische Entwicklungspläne. Aufgabe der Tourismusorganisationen vor Ort sei es daher, mit der Bevölkerung zu kommunizieren, sagt Schiefelbein. „Wir müssen die Einwohner mitnehmen. Das ist ganz, ganz wichtig.“