Ziegen, Schafe, Vögel oder Schildkröten: Manche Seniorenheime setzen auf tierische Mitbewohner. Sie können Erstaunliches bewirken.
Die Zwergziegen sind im Seniorenheim gerade die absoluten Stars. „Oh, wie süß!“, sagt eine Bewohnerin, als sie mit ihrem Rollator in den Garten zu den gerade mal vier Monate alten Tieren kommt. „Schau mal!“, ruft eine andere Seniorin und zeigt auf die Zicklein, die auf Stühle unter einem Apfelbaum geklettert sind und an den Ästen knabbern.
Die vier Jungtiere sind erst vor wenigen Tagen auf dem Gelände des Seniorenzentrums des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Kell am See (Kreis Trier-Saarburg) eingezogen. Sie stammen aus einer Privatzucht aus Sachsen. „Sie werden immer zutraulicher. Bald werden wir sie auch streicheln können“, sagt Katja Oswald von der Wohnbereichsleitung und Ziegen-Expertin.
Während immer mehr Bewohner nach draußen kommen, schauen andere an Fenstern oder vom Balkon zu. „Die Ziegen sorgen für Glücksmomente„, sagt Einrichtungsleiter Michael Pauken. Sie seien noch sehr verspielt. Es mache Spaß, ihnen zuzusehen – und sie böten reichlich Gesprächsstoff.
Ziegen wecken Erinnerungen an früher
„Wir haben früher immer Tiere gehabt. Hund, Katze, Kuh und Schweine„, erzählt Bewohnerin Helena Meyer und strahlt. Gerade hat sie die Ziegen mit Ästen vom Apfelbaum gefüttert. „So! Der erste Hunger ist gestillt“, meint die 87-Jährige, die aus Irsch an der Saar stammt.
Die Luxemburgerin Marie-Jeanne Krecké aus Esch an der Alzette erinnert sich: „Wir haben früher oft in Spanien und Marokko überwintert. Und in Marokko Ziegen gesehen, als wir durch das Atlasgebirge gefahren sind.“ Marianne Scholer sagt, sie komme fast jeden Tag zu den Ziegen. „Es ist sehr schön.“
Ganz klar: Die Ziegen wirken. „Es ist wichtig, positive Emotionen zu wecken“, sagt Leiter Pauken. Auch für die Mitarbeiter seien die Ziegen „etwas Schönes“. Arbeit in der Pflege sei sehr anstrengend. „Die Tiere lockern den Alltag auf.“
Länger habe man überlegt, welche Tiere man anschaffen solle. „Schweine fanden wir zu faul, die liegen nur rum“, sagte Pauken. Für Schafe gibt es nicht genug Wiese. Die Ziegen seien perfekt. Vor der Ankunft sei mit Spenden ein Holzhaus für sie gebaut worden. Über eine „Ziegencam“ können sie rund um die Uhr beobachtet werden.
Mit Tieren werden Senioren wieder munter
Was haben Tiere, das dem Menschen hilft? „Tiere haben einen ganz anderen Draht zu den Menschen“, sagt Simone Kilian von „Tiere helfen Menschen“ mit Sitz in Rimpar bei Würzburg. „Voraussetzung ist natürlich, dass die Menschen tieraffin sind, weil sonst löst kein Tier irgendwas aus.“
Bei Begegnungen würden Glückshormone ausgeschüttet: Die Menschen zeigten oft unerwartete Reaktionen: „Beim Streicheln der Tiere werden sie wieder ganz munter.“ Die Mitglieder des Vereins besuchen bundesweit mit Tieren – meist Hunden, aber auch Meerschweinchen, Vögel und Ziegen – Altenheime, Schulen und Behinderteneinrichtungen.
Kilian erinnert sich an eine alte Dame, die hochgradig dement gewesen sei. „Als ich mit meinem Hund das Zimmer verließ, wusste sie nicht mehr, dass ich da war. Aber Glückshormone wurden ja ausgeschüttet und die Pfleger haben gesagt: „Die Frau war danach für Tage wie umgewandelt“.“ Das zeige: Diese nonverbale Kommunikation mit Tieren sei durch nichts zu ersetzen.
Auch Schafe, Vögel & Co
Anschauen, anfassen und ansprechen: Tiere gehören auch in anderen Seniorenheimen in Rheinland-Pfalz zum Alltag dazu – wie etwa im DRK-Seniorenzentrum in Kaiserslautern. „Wir haben zwei Schafe, ein Chinchilla, zwei Landschildkröten, einen Gecko, Zierfische und Vögel“, sagt Leiterin Beate Ruffing. Im Foyer schauten Bewohnern den Vögeln in ihren großen Käfigen zu, die Fische und Schildkröten würden auch von den Senioren gefüttert.
„Es ist einfach Leben“, sagt Ruffing. Viele der Bewohner hätten früher auch Tiere zu Hause gehabt. „Bei uns sind die Tiere auch einfach da.“ Die tierischen Mitbewohner lieferten Gesprächsstoff – und bewirkten Erstaunliches: Ein Senior im Rollstuhl, der schwer zu motivieren war, aufzustehen, habe sich vor dem Schafgehege allein am Zaun hochgezogen. „Da dachte ich: Wow!“, sagt sie.
Zurück nach Kell am See: Immer wieder kommen Bewohner in den Garten, setzen sich auf Stühle und beobachten die Ziegen, die Hanni, Nanni, Marie und Bubi heißen. Katja Oswald sagt: „Was schön ist: Mehrere Leute, die nicht gerne an Gruppenangeboten teilnehmen, weil sie lieber für sich sind, die sind aber jetzt hier draußen und gucken den Tieren zu.“