Südkorea hat sich eine treue Fangemeinde erarbeitet. Hinter dem Hype steckt eine Strategie, die das Land auch vor einem gefährlichen Aggressor schützen soll.
Kimchi, K-Pop, K-Tourismus: Der südkoreanische Lebensstil und die Kultur des Landes boomen. Gerade erst hat sich die südkoreanische Boygroup BTS vom Militärdienst zurückgemeldet und ein Live-Album samt Welttournee für 2026 angekündigt. Luxusmarken wie Louis Vuitton lassen koreanische Popstars als Gäste zu den Modenschauen in Paris und Mailand einfliegen oder als Models laufen. Mit riesigem Social-Media-Echo. Derweil streamen Fans auf Netflix die dritte Staffel der südkoreanischen Serie „Squid Game“ sowie den Animationsfilm „K-Pop Demon Hunters“ – ein weltweiter Überraschungshit.
Das Land surft auf einer Beliebtheitswelle, die vor 30 Jahren ihren Anfang nahm – wenngleich das Phänomen der „Hallyu“ (한류), was auf Deutsch „Koreanische Welle“ bedeutet, damals noch belächelt wurde.
In Südkorea leben heute knapp 52 Millionen Einwohner. Von 1910 bis 1945 war Korea japanische Kolonie, 1948 wurde das Land in einen Norden und Süden geteilt. Nach dem Koreakrieg Anfang der 1950er Jahre, zählte Südkorea zu den ärmsten Nationen der Welt. Für viele Deutsche erschien es erst mit der Austragung der Olympischen Sommerspiele 1988 in Seoul auf dem Radar.Ochsenpflug vor Plattenbau – vor circa 50 Jahren sah es in Seouls heutigem Nobelviertel Gangnam noch wenig nach Fortschritt und Glamour aus
© Jun Min Cho / Museum of Contemporary History of Korea
Inzwischen allerdings sehen viele in Südkorea eine Erfolgsstory, die vor allem durch großangelegte Projekte des Public-Private-Partnerships möglich war. Verschiedene Regierungen haben den Aufstieg mit beachtlichem Budget flankiert; ebenso TV-Sender, Filmstudios und Musiklabels sowie die akademische Elite.
Bis auf eine Pandemie-Delle hat sich die Zahl der jährlichen Touristen in Korea in zwei Dekaden verdreifacht
© Statista
K-Krise: erst ganz am Boden, jetzt obenauf
Doch am Anfang der Welle war die Not. 1997 und 1998 hatte die Finanzkrise in Asien Südkorea und andere Staaten der Region an den Rand des Bankrotts gedrängt. Der koreanische Won hatte die Hälfte seines Wertes eingebüßt, der Mischkonzern Daewoo war kollabiert, dazu viele Banken, und die Arbeitslosigkeit hatte sich vervierfacht. Es kam zu Protesten und zu privaten Spenden, etwa von Hochzeitsringen, um die Staatsschulden abbezahlen zu können. Der damalige Präsident Kim Dae-jung erklärte die Kultur – Musik, Film, Animation, Videospiele und Mode – zum wichtigen Exportgut, und zur Strategie, die Abhängigkeit von den Weltmärkten zu verringern. Ein aus dieser Zeit stammender Expertenbericht betont beispielsweise, dass die Einnahmen des Films „Jurassic Park“ (1993) ungefähr dem Umsatz von 1,5 Millionen Hyundai-Fahrzeugen entsprachen.
Das Ministerium für Kultur und Tourismus erarbeitete in der Folge erste Leitlinien, um Südkoreas Produkte in die Welt zu tragen. Auf intellektueller Ebene gilt auch der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye als wichtiger Stichwortgeber in dieser Transformation, der Kultur und Werte, die „soft power“, für den Einfluss eines Landes ebenso essenziell hielt wie Wirtschaftskraft und militärische Stärke. Aktuell rangiert Südkorea auf Platz 12 im „Global Soft Power Index“ der Beratungsfirma Brand Finance. Die USA belegen Platz 1, es folgen China (Platz 2), Japan (Platz 4) und Deutschland (Platz 5).Erst die beste Technik, dann die beliebteste Popkultur: Ohne den Aufstieg von Mischkonzernen wie Samsung – hier eine TV-Produktion der 1970er Jahre – gäbe es keine „Korean Wave“
© Samsung Innovation Museum
Schutz gegen Nordkorea
Ende der 1990er Jahre blickte man in Seoul noch neidisch in Richtung Hollywood, nach Japan (Anime, Manga) und Taiwan (Film). Was Südkorea bei seinem Aufstieg und der Distribution von kreativem Content helfen sollte: die bereits früh ausgebaute Breitband-Infrastruktur. Die koreanische Popkultur wurde nach und nach im Schulsystem verankert, was eine neue nationale Identität und Einheit förderte. Daneben unterstützten Großevents wie der FIFA World Cup 2002 in Korea und Japan das eifrige Ringen um Aufmerksamkeit und Sympathie.
Die „Korean Wave“ war und ist auch deshalb wichtig für Südkorea, weil es mit dem Nachbarn Nordkorea seit der Teilung des Landes 1948 große Spannungen gibt. Das Verhältnis zur Atommacht und ihrem derzeitigen Diktator Kim Jong-un ist schlecht. Im Ernstfall hofft Südkorea auf Schützenhilfe anderer Länder.
Serien zum Bingen
Zur Koreanischen Welle beigetragen haben vor allem Fernsehserien: Schon in den 1990ern hatten Produzenten das Format der „Mini-Serie“ mit hohen Budgets, großer emotionaler Tiefe und zwölf bis 24 Folgen auserkoren – als Kontrast zu den billigen, endlosen Seifenopern in den USA oder Lateinamerika. Lange vor der Streaming-Ära besaßen die K-Dramen von Studio Dragon, KBS oder SBS also ein hohes „Binge Watch“-Potenzial, das der staatlichen Korea Creative Content Agency bei der später forcierten Vermarktung ins Ausland half. Die erfolgreiche Underdog-Saga „Itaewon Class“, benannt nach Seouls Amüsierviertel, machte Hauptdarsteller Park Seo-joon zum Star
© JTBC
Eigentlich waren die selten untertitelten Filme und Serien einzig für den heimischen, allenfalls noch den panasiatischen TV-Markt gedacht. Das änderte sich 1997, als das koreanische Familiendrama „First Love“ (1991) erstmals in China ausgestrahlt wurde und rekordverdächtige Einschaltquoten erzielte. Es soll auch ein chinesischer Journalist gewesen sein, der damals den Begriff „Koreanische Welle“ ersann.
Die nächsten Märkte, die positiv auf K-Dramen ansprachen, waren in den 2010er Jahren der Mittlere Osten, Südostasien und Lateinamerika, wo Serien wie „Boys Over Flowers“ (2009) und „Descendants of the Sun“ (2016) die Zuschauer begeisterten. Neue Streaming-Anbieter wie Viki oder WeTV erleichterten über die nächsten Jahre den Zugang des Westens zu mehr Unterhaltung aus Asien. Mit Untertiteln.
Die Crew von „Squid Game“ hat gut lachen, auch die dritte Staffel dürfte auf Netflix für satte Streaming-Zahlen sorgen. Hauptdarsteller Lee Jung-jae (2. v. l.) gewann für seine Rolle einen Emmy
© ASSOCIATED PRESS | Lee Jin-man
Den vielleicht größten Meilenstein passierte das Genre dann 2021, als das düstere „Squid Game“ von Regisseur Hwang Dong Hyuk zur weltweit meistgeschauten Serie auf Netflix wurde – und Lee Jung-jae als erster Schauspieler aus Asien für die Hauptrolle darin einen Emmy gewann. Streaming-Anbieter wie Netflix und Disney+ investieren inzwischen jährlich Milliarden in die Produktion und den Einkauf von Filmen und TV-Serien aus Südkorea. Darunter etwa das Historien-Zombie-Epos „Kingdom“ (2019), der Underdog-Hit „Itaewon Class“ (2020), die romantische Dramödie „Crash Landing on You“ (2020) oder das Ehe-Drama „Queen of Tears“ (2024). Rund 80 Prozent der Netflix-Abonnenten, so das Unternehmen, würden Inhalte aus Südkorea anschauen. Auch in Deutschland, Tendenz steigend.
Soundtrack zur Serie
Ein wichtiger Aspekt des Aufstiegs von Korea zur gefeierten Content-Nation ist die kluge Verbindung des multimedialen Outputs. So erscheint zu fast jedem K-Drama ein eigener Soundtrack, mindestens eine Single, die entweder begabte Darsteller einsingen, bekannte Interpreten oder K-Pop-Stars. Letztere wiederum stehen mitunter auch vor der Kamera, wie etwa Lisa von der Girlgroup Blackpink in der dritten Staffel der HBO-Serie „White Lotus“. Auch Produktplatzierungen sind keine Seltenheit in koreanischen Serien, und natürlich sind deren Schauspieler beliebte Werbegesichter für Pflegeprodukte der K-Beauty-Branche und westliche Luxusmarken. Marketingprofis würden vom Best Case einer 360-Grad-Strategie sprechen.
Der Anteil einheimischer Filme im südkoreanischen Kino liegt deutlich über dem, was man im Westen gewohnt ist: Als wichtige Werke des koreanischen Kinos, das sich anfangs stark an Filmen aus Taiwan und Hongkong orientierte, gelten die Actionthriller „Shiri“ (1999), „Joint Security Area“ (2000) sowie die Romanverfilmung „Die Taschendiebin“ von Park Chan-wook (2016). Die Sozialsatire „Parasite“ (2019) gewann den ersten Academy Award in der Kategorie „Bester Film“ für einen nicht-englischen Streifen.
So wie BTS-Sänger Jung Kook (hier bei einem Auftritt in New York) starteten auch andere Gruppenmitglieder erfolgreiche Solokarrieren. Ein Beweis für die gute Ausbildung im „Trainee“-System
© ZUMAPRESS.com | Jorge Estrellado
Vorbild für K-Pop: der Hype um die Beatles
In der Musikbranche orientierten sich Kulturpolitiker und Label-Bosse an Phänomenen wie der „Beatlemania“, Elvis Presley, der amerikanischen Hitfabrik Motown und den Boy- und Girlgroups der Neunziger, darunter Backstreet Boys, Spice Girls und Take That.
Als Gründungsmoment des K-Pop gilt das Debüt von Seo Taji and Boys 1992, die noch ohne großes Entertainment-Konglomerat im Rücken auskommen mussten und westliche Genres wie Rap, Rock und Hip-Hop mit Elementen beliebter koreanischer Genres wie Trot kombinierten.
Die nächste Phase wurde maßgeblich von neuen Plattenfirmen wie SM Entertainment, JYP Entertainment, YG Entertainment und später Big Hit Entertainment (heute: Hybe) dominiert. Ab 2003 feierten Gruppen wie TVXQ, BoA, H.O.T., Super Junior oder Big Bang mehr und mehr Erfolge außerhalb der Landesgrenzen und des asiatischen Kontinents.
Durch den Start von Youtube 2005 wurde es zunehmend einfacher, auch ohne ausgedehnte Tourneen neue Fans zu erreichen. Englische Songtitel und Refrain-Elemente sowie Google Translate und Video-Untertitel machten Songtexte plötzlich verständlich – und Social-Media-Plattformen aus kleinen Nerd-Zirkeln große Fan-Bewegungen. „Nobody“ von den Wonder Girls landet 2009 erstmals in den US-Charts. Der Song „Gangnam Style“, eigentlich eine Satire des Komikers Psy auf die Snobs des gleichnamigen Nobelviertels von Seoul, wurde 2012 ein viraler Hit und das erste Video auf Youtube, das eine Milliarde Aufrufe erreichte.
Mit dem Debüt der Band BTS im Jahr 2013, begann dann die bisher dynamischste Phase für das Genre. Wobei der Begriff bei der unüberschaubaren Flut an Künstlern und Musikrichtungen mittlerweile weniger für einen festgelegten Stil, als schlicht für die Herkunft einer Gruppe oder der ihres Labels steht.
K-Beauty: so schön wie die Stars Südkoreas
Äußerliche Attraktivität wird in Südkorea oft großgeschrieben und die erstrebenswerte, weil makellose „Glas-Haut“ von Stars im Fernsehen und auf Konzertbühnen vorgeführt. All das führte dazu, dass die koreanische Kosmetikbranche und plastische Chirurgie der des Westens etwa zehn bis 20 Jahre voraus sind. Gerade wurden zudem Zahlen für den Zeitraum Januar bis April 2025 veröffentlicht, nach denen der Gesamtwert exportierter Beauty-Produkte mit circa 3,57 Milliarden Dollar erstmals die Ausfuhren der USA in dieser Kategorie um 10 Millionen Dollar überstieg. Vor allem Polen, Irland, Belgien und die Vereinigten Arabischen Emirate verzeichnen Zuwächse. Unter dem Strich ein Plus von 20,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, mit dem Südkorea auf dem zweiten Platz in diesem Bereich landet, hinter Frankreich.
Das Erfolgsgeheimnis? Hohe Qualitätsstandards, kontinuierliche Innovation, rasche Anpassung an Trends wie minimalistische und nachhaltige Pflegeformeln – und die andauernde Popularität der „Korean Wave“.
Die Hemmschwelle, sich der Schönheit wegen von Dermatologen mit Botox, Filler-Injektionen und dermatologischer Apparatemedizin helfen zu lassen, ist in Korea übrigens deutlich niedriger. Auch weil die Preise im Vergleich zu Deutschland recht moderat ausfallen, denn es gibt eine große Konkurrenz unter Ärzten und Kosmetikstudios in Metropolen wie Seoul. Kehrseite: Die Toleranz für mangelnde Perfektion von Haut und Körper ist in der koreanischen Gesellschaft nicht sonderlich ausgeprägt und der Druck zur Perfektion hoch.
Vor allem die jungen Besucher geben als Grund für ihre Reise überwiegend die Attraktivität der „Korean Wave“ mit all ihren Facetten als Inspiration an
© Statista
Japan, China und Thailand eifern nach
Erfolg macht neidisch. Andere Nationen fahren deshalb inzwischen eine ähnliche Strategie: In Japan läuft seit längerer Zeit die Kampagne „Cool Japan“, in China setzt man große Hoffnung in „Zhongliu“, die „Chinese Wave“, und Thailand will die „T Wave“ nutzen, um sich durch Popkultur zu positionieren.
Im K-Pop stehen die Zeichen währenddessen weiter auf Expansion. Etwa durch Crossover-Projekte mit Künstlern aus dem Westen, wie die Neuaufnahme des Coldplay-Erfolgs „We Pray“ mit der koreanischen Girlgroup Twice oder die Hitsingle „Apt.“, für die Bruno Mars mit Rosé von Blackpink kollaborierte. Für Nachschub ist gesorgt: Südkoreas Top-Bands bringen mindestens ein Album pro Jahr oder kürzere Mini-Alben im Halbjahrestakt heraus.
Seit wenigen Jahren gibt es zudem sogenannte KI-Bands, also Musikgruppen, die mithilfe Künstlicher Intelligenz kreiert wurden: Sie heißen zum Beispiel Plave und Mave und treten nur virtuell auf, wobei echte Sänger die Songs einspielen. Noch.
Die Koreanische Welle ist zweifellos auf einem Hochpunkt. Doch wie bei jedem Mega-Trend birgt der Erfolg die Gefahr, dass die breite Masse und selbst loyalste Fans dem Hype irgendwann überdrüssig werden könnten. Bis dahin allerdings werden K-Jünger in aller Welt versuchen, Tickets für ein BTS-Konzert 2026 zu ergattern.