Meinung: Diese Hitze macht mich richtig wütend – Sie hoffentlich auch!

Deutschland wird von einer Hitzewelle gegrillt. Doch unter den Sommergefühlen brodelt bei unserer Autorin eine stetig wachsende Wut. Zeit für einen Ausbruch.

„36 Grad und es wird noch heißer …“ – als der Song 2007 durch die Charts dudelte, klang er wie ein Versprechen. Sofort spürte ich die Sonne auf meiner Haut, sah den blauen Himmel vor meinem geistigen Auge, der Duft von Sonnencreme, Chlor und Fritten rauschte durch meine Nase, dazu die Vorstellung von schmelzendem Wassereis, das meine Hände verklebte. 2007 waren 36 Grad eine Verheißung.

Letztens dichtete ich den Song dann leicht um. „36 Grad, bitte nicht noch heißer“, brüllte ich innerlich, als ich mit meiner besten Freundin die Ruhr entlangspazierte. Die Sonne knallte vom Himmel, neben uns glitzerte der Fluss. Auf dem Smartphone zeigte die Wetterapp 34 Grad an, auf meinem Rücken perlte der Schweiß. Die Abkühlung in der Ruhr währte kurz: Die Wassertropfen verwandelten sich innerhalb von Minuten wieder in Schweißperlen und meine Wonne in Wut.

War mir die Hitze zu Kopf gestiegen? Vielleicht – aber nicht nur. Wenn der Deutsche Wetterdienst beinahe täglich Hitzewarnungen herausgibt, die Zahl tropischer Nächte zunimmt, Waldbrände jedes Jahr ganze Landstriche in Südeuropa und Nordamerika auffressen und deutsche Regionen zum Wassersparen gezwungen sind, dann klingen 36 Grad (und noch mehr) irgendwann nicht mehr verheißungsvoll, sondern bedrohlich. Die dauerhaft hohen Temperaturen machen mich wütend – und Sie hoffentlich auch!

Hitze ist nicht nur gesundheitsschädigend, sondern lebensbedrohlich

2024 war das weltweit heißeste Jahr seit Messbeginn. Der Kohlendioxidwert in der Atmosphäre hat den Rekord der letzten 800.000 Jahre gebrochen. Mehrere Ökosysteme stehen vor dem Kipppunkt und Deutschland vor einem weiteren Dürresommer. Aber niemand tut etwas dagegen. Stattdessen rücken immer mehr Unternehmen von ihren Klimaversprechen ab, allen voran der Stahlriese Arcelor Mittal. Grünen Stahl hatte der Konzern versprochen und dafür Milliarden kassiert. Jetzt rudert er zurück – ein schlechtes Signal aus einer Branche, die zu den größten CO2-Emittenten in Deutschland zählt.

Nebenbei stellen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Erreichbarkeit unserer Klimaziele plötzlich infrage und könnten damit das Schicksal von Millionen Menschen der globalen Erderwärmung überlassen. Sie wären nicht die Ersten, aber jede weitere Kapitulation vor dem Klimawandel ist eine Bedrohung mehr. Denn die Hitze kostet Menschenleben.

Ungefähr 8700 waren es im Jahr 2018, dem zweitheißesten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, allein in Deutschland, schätzt das Ärzteblatt. 2023 und 2024 sollen es jeweils 3000 gewesen sein, wie das RKI errechnet hat. Wie viele Hitzetote werden es Ende dieses Jahres sein? Und werden meine Altersgenossen und ich in zwei bis drei Jahrzehnten auch in dieser Statistik auftauchen? Immerhin werden die Temperaturen bis dahin weiter deutlich steigen – herzlichen Dank dem Klimawandel.

Europa erwärmt sich deutlich schneller als der Rest des Planeten. Deutschland liegt natürlich ziemlich genau in der Mitte dieser Glutinsel. Sind wir darauf vorbereitet? Mitnichten. Ideen für Hitzeaktionspläne gibt es, auf Anraten von Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, erst seit 2023. Die Bundesregierung feilt immer noch an den Konzepten, schiebt die Verantwortung aber weitestgehend auf die Kommunen ab. Nur ist Hitze kein kommunales Problem.

Gießen Sie noch oder haben Sie schon Durst?

Falls Sie das nicht juckt: Wie schaut’s eigentlich gerade in Ihrem Vorgarten aus? Leuchtet der liebevoll gemähte Stoppelrasen noch grün oder hat ihn schon die Gelbsucht erwischt? Räkeln sich Ihre Pflanzen noch Richtung Sonne oder sind die Blätter schon grau-bräunlich erschlafft? In West- und Ostdeutschland könnte Letzteres der Fall sein. Die Regionen zählen traditionell zu den trockensten in der ganzen Bundesrepublik. Industrie und die Erderwärmung machen es noch schlimmer. Doch statt das Sinken der Grundwasserpegel zu stoppen, lassen Bundes- und Lokalregierungen die hiesigen Unternehmen weiter Wasser abschöpfen – praktisch ohne Limit. Grüße gehen raus an Tesla, BASF und Co.

Als ich noch klein war, hörte ich oft den Satz: Kriege werden künftig ums Wasser geführt. Wo Konzerne scheinbar endlos Wasser nutzen dürfen, während es bei den Menschen nebenan aus dem Hahn tröpfelt, da sind Wasserkonflikte vorprogrammiert – auch in Deutschland. Dass man den Garten nicht mehr bewässern, Autos nicht mehr waschen oder das Planschbecken nicht mehr befüllen darf, kennen manche von Ihnen wahrscheinlich schon. Bundesweit sind übrigens schon wieder Dutzende Landkreise von Wassersparmaßnahmen betroffen. Dabei kommt der eigentliche Hochsommer erst noch.

In der Stadt haben zwar die wenigsten Menschen einen Garten, aber da ballt sich die Hitze in den Straßen. Kritisch wird es vielleicht auch dort irgendwann, wenn das Trinkwasser knapp wird – zugegeben ein hoffentlich noch weit entferntes Szenario, aber solche Fälle hat es auch hier schon gegeben.

Schluss mit der Scheinheiligkeit!

Von diesen ganzen Horrorszenarien haben Sie in den vergangenen Jahren bestimmt viel gesehen, gehört oder gelesen. Aber war es genug? Ich glaube nicht. Warum nicht? Weil Millionen Menschen klimamüde geworden sind. Man kann es Ihnen kaum verübeln. Ständig Katastrophenmeldungen von Hitzewellen, Dürren, Waldbränden, das stumpft ab. Desensibilisierung sagen Psychologen dazu.

In den Redaktionen ist das täglich zu spüren. Klima klickt nicht, so lautet häufig die Gleichung, gegen die Kollegen und ich argumentieren müssen. Natürlich wirken Putin, die Kriege in der Ukraine oder in Gaza, überhaupt die ganze Eskalation in Nahost viel bedrohlicher, weil Regierungen auf der ganzen Welt deswegen aufrüsten, um uns im Fall der Fälle schützen zu können. Jede Meldung dazu ist schon ein Alarmsignal.

Ich bin mir sicher, dass es sich beim Klimawandel ähnlich verhielte, wenn die Bundesregierung dazu in einem ähnlichen Tempo Schutzmaßnahmen umsetzen würde. Solange sie das nicht tut, interessiert es niemanden, dass Extremwetterereignisse auch in Deutschland häufiger werden.

Letztens ermutigte mich ein Kollege, wieder mehr für die Klimaberichterstattung zu kämpfen, weil „das ja schon sehr wichtig ist“. Allerdings nützt es wenig, wenn das Thema in den Medien immer weiter in den Hintergrund rückt, während ansonsten Trumps Allüren die Schlagzeilen beherrschen, weil der Mann gleichermaßen schockiert wie amüsiert. Alles für die Klicks, und Sie als Leser sollen natürlich auch bei der Stange gehalten werden.

Wenn Sie das alles nicht wütend macht, dann sollten Sie mal Ihre Scheinheiligkeit beiseitepacken. Denn im Grunde wissen wir alle, wie es um diesen Planeten steht. Sollte in ein paar Jahren der Song „46 Grad und es wird noch heißer“ durch die Charts geistern, kann jedenfalls niemand sagen, er habe es nicht kommen sehen.