Rechtsextremismus: Sind die Behörden überfordert mit rechtsterroristischen Jugendgruppen?

Reporter von stern und RTL deckten mutmaßliche Anschlagspläne junger Rechtsradikaler auf, die Behörden wohl verborgen geblieben waren. Polizei und Dienste stehen vor einem Dilemma.

Der Generalbundesanwalt, Deutschlands Chefankläger, hat soeben offiziell die Ermittlungen zu einer rechtsradikalen Jugendgruppe namens „Letzte Verteidigungswelle“ („LVW“) übernommen. In einer großangelegten Razzia in mehreren Bundesländern wurden fünf Teenager und junge Erwachsene festgenommen, inzwischen sitzen sie in Untersuchungshaft.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein. Einigen wirft sie schwerste Straftaten vor: darunter versuchter Mord und Verabredung zum Mord. Einer der Anführer der mutmaßlichen Anführer der Gruppe ist 15 Jahre alt, andere aus der Gruppe sind 14.

Einen geplanten Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Brandenburg haben nicht deutsche Strafverfolgungsbehörden aufgedeckt und damit verhindert. Sondern ein Reporterteam von sternund RTL. Der Fall offenbart daher nicht nur eine neue Gefahr: eine sehr junge, mithilfe sozialer Medien in Hochgeschwindigkeit radikalisierte Szene rechter Jugendlicher, die die Sicherheitsbehörden alarmiert. Er offenbart auch ein Dilemma deutscher Sicherheitsbehörden. Sie wissen, was da gerade auf das Land zukommt. Gleichzeitig sind sie nur bedingt darauf eingerichtet.

Besonders kompliziert wird es, wenn es um Jugendgruppen geht

An Fähigkeiten und Motivation mangelt es den Ermittlern nicht. Aber die rechtlichen Hürden, um zum Beispiel geschlossene Chatgruppen von Extremisten zu kontrollieren, sind enorm. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz hängt hoch, sodass Ermittler und Verfassungsschützer oft nur eingeschränkt handeln können. Auch deshalb liest man nach vereitelten Anschlägen häufig, dass ein entscheidender Tipp zur Aufklärung von ausländischen Diensten kam.

Besonders kompliziert wird es für die Behörden dann, wenn Verdächtige minderjährig sind – Heranwachsende genießen vor dem Gesetz einen besonderen Schutz – und wenn sie über Bundeslandgrenzen hinweg operieren, wie es bei der „LVW“ der Fall war. Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel (SPD), sagte dem stern: „Überspitzt gesagt, haben wir gerade die Situation, dass wir unter 18-Jährige in der Regel gar nicht dokumentieren dürfen.“

Auch die technische und personelle Ausstattung der Behörden ist gerade bei Cyber-Ermittlungen mangelhaft. Gewerkschaften klagen über veraltete Technik, einen restriktiven Zugriff auf moderne Ermittlungswerkzeuge wie Gesichtserkennungssoftware und darüber, dass Beamte vor Überlastung ächzten. „Ein Staatsschutzermittler bekommt 50 Akten auf den Schreibtisch gelegt und ihm wird gesagt: Entscheide selbst, was du bearbeitest. Die Kapazitäten reichen hinten und vorne nicht“, sagt etwa der Polizeigewerkschafter Jochen Kopelke. Der Druck sei aktuell gewaltig.

Anfang Mai saß der sächsische Verfassungsschutzchef, Dirk-Martin Christian, bei „stern TV“. Angesprochen auf die Gefahr rechtsextremer Jugendgruppen sagte er: „Wir (…) versuchen die Nadel im Heuhaufen zu finden, was uns ja auch durchaus gelingt.“ Im Fall der „LVW“ wirft das Fragen auf: Warum erfolgte die Festnahme erst nach dem Hinweis einer Reporterin? Und was, wenn es diesen Hinweis nicht gegeben hätte?